Fokker bald für eine Mark?

Daimler-Benz und die Regierung einigen sich nicht über „das Kronjuwel der niederländischen Industrie“ – das Ende naht  ■ Aus Amsterdam Ed van Zutphen

Falls Daimler entgegen seinen erklärten Absichten nicht alleine mehrere Milliarden Mark bereitstellt, steht das laut Presse „Kronjuwel der niederländischen Industrie“ vor dem Aus. Ben van Schaik, Noch-Chef der Noch-Flugzeugfirma Fokker, ging am Samstag mit Journalisten durch die gespenstisch ruhigen Werkshallen. Er durfte keinen Klartext reden, bevor nicht heute sein oberster Boß Jürgen Schrempp, Daimler- Benz-Vorstand in Stuttgart, gesprochen hat: Am Freitag abend hatten Regierungschef Wim Kok, Wirtschaftsminister Hans Wijers und Jürgen Schrempp über neue Milliarden für Fokker verhandelt. Aus dem Verhandlungsraum traten alle mit zerfurchten Mienen. Fragen wurden abgewimmelt. Ben van Schaik sagte dazu nur: „Sie haben die Gesichter der Politiker gesehen. Dem kann man nichts hinzufügen.“

Dabei war Fokker nach eigener Aussage des einstigen Dasa-Chefs und heutigen Großen Daimler- Vorsitzenden Jürgen Schrempp sein „Love baby“. Auch auf sein Betreiben hin kaufte Daimler vor drei Jahren 51 Prozent der Anteile, 22 Prozent hält noch der Staat.

In den Niederlanden schlagen nun die Wogen hoch. Live-Diskussionen zur Zukunft Fokkers laufen im Fernsehen. Tausende der noch 7.900 Mitarbeiter demonstrierten verzweifelt am Freitag in Den Haag. Schrempp forderte angeblich über die nächsten Jahre verteilt 2,5 Milliarden Gulden (2,2 Miliarden Mark) von der Regierung für die Sanierung der Flugzeugfirma. Wim Kok nannte den Betrag „völlig undenkbar“, die Regierung habe aber „ein sehr gutes Angebot gemacht“ – anscheinend nicht gut genug. Die Dasa will nach der fehlgeschlagenen Einkaufsstrategie von Reuter und Schrempp nicht weiter zahlen. In nur drei Jahren hat Daimler-Benz sage und schreibe 3,7 Milliarden Gulden in Fokker hineingesteckt.

Geht Fokker bankrott, schlagen bei der Dasa erst mal neue Milliarden-Verluste zu Buche (siehe Text unten). Aber auch der niederländische Staat muß entsprechend seiner Anteile mit einer Milliarde Gulden Verlust rechnen, wenn Fokker in der kommenden Woche vom Himmel fällt. Über 800 Millionen Gulden Altschulden stehen noch aus. Völlig unberechenbar sind die sozialen Folgekosten.

Die Bilanz von Fokker in den 90er Jahren ist schon jetzt dramatisch: vor fünf Jahren hatte Fokker noch 13.500 Angestellte – heute sind es noch 7.900. Mit der zu erwartenden Pleite werden allein in den Niederlanden um die 20.000 direkte und indirekte Fokker-Arbeitnehmer arbeitslos, in den deutschen Zuliefererbetrieben der Dasa noch mal 1.500 – in Dresden, Bremen und anderswo.

Antony Fokker hatte 1919 Fokker mit einem Startkapital von 100.000 Mark gegründet, und in den 50er Jahren war das Fokker- Friendship-Modell das meistverkaufte Flugzeug der Welt. Eine Ära niederländischer Industriegeschichte neigt sich nun dem Ende entgegen. Am Freitag schämten sich viele tausend Niederländer darum ihrer Tränen nicht. Für einen Gulden, so das günstige Szenario, kann ein Interessent Fokker übernehmen. Der kanadische Regionalflugzeug-Bauer Bombardier und British Aerospace sollen die einzigen in Frage kommenden Interessenten sein – kein Mensch weiß momentan, zu welchen Bedingungen.

Denn neben Dasa/Fokker sind Boeing, McDonell Douglas sowie die am 1. Januar errichtete Aero International Regional (AIR) im Rennen. Letztere ist ein Konsortium aus British Aerospace, der französischen Aerospatiale und der italienischen Alenia. Die indonesische Staatsfirma IPTN produziert nun den Hundertsitzer N2130, die brasilianische Firma Embraer den Siebzigsitzer EMB 145, ein japanisches Konsortium unter Führung von Mitsubishi den Hundertsitzer YS-X.

Airbus, Boeing, Dasa und andere wollen in den nächsten 20 Jahren um die 2.700 Flugzeuge in der Klasse 70 bis 120 Sitze auf den Markt werfen. Dafür müssen erst einmal Käufer gefunden werden. Die Entwicklung eines neuen Hundertsitzers verschlingt um die zwei bis drei Milliarden Dollar, kosten darf ein Flugzeug dann aber nicht mehr als 20 Millionen Dollar. Rentieren kann sich die Produktion also erst, wenn mehrere hundert Flieger verkauft werden können.

Niederländische Politiker haben darauf gedrängt, zumindest Teilbereiche von Fokker zu retten. Falls der Daimler-Aufsichtsrat am Montag gegen weitere Kredite entscheide, dürfe Fokker nicht sofort Konkurs anmelden, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der linksliberalen Demokraten 66, J. van Walsem. „Wir müssen retten, was es zu retten gibt.“ Vor allem den Bereichen Ersatzteile, Verteidigung und Raumfahrt werden Chancen eingeräumt.

Regierungschef Wim Kok hat sich anscheinend mit der Lage abgefunden. Als der Exgewerkschafter gefragt wurde, ob ihm die größte Massenentlassung in der niederländischen Geschichte keine Probleme bereite, sagte er schlicht: „Nein.“