Eklat im Plutonium-Ausschuß

Aus Protest verlassen SPD, Grüne und PDS die Vernehmung von Schmidbauer im Plutonium-Ausschuß: Taktik der CDU verhindert Aufklärung. Was hat das Kanzleramt zu verbergen?  ■ Aus Bonn Holger Kulick

Gregor Gysi konnte es nicht fassen: Die SPD machte einen revolutionären Schritt, den ihr kaum jemand zugetraut hat. Mit PDS und Grünen boykottierte sie nach acht Stunden die Vernehmung von Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer und verließ den Saal. Die Begründung: was sich dort abspiele, sei eine „Farce“ und habe mit „seriöser Beweisaufnahme“ nichts zu tun. Durch gezieltes „Spiel auf Zeit“ sei die Befragung durch die Opposition auf den Freitagabend vertrödelt worden – ein Zeitpunkt, an dem kaum noch Presse präsent sei. Die Koalition verstoße damit grob gegen das „Recht auf Öffentlichkeit“ sowie gegen Regeln jeder polizeilichen Vernehmung, wonach Aussagen aus überlangen Verhören anfechtbar sind.

Hermann Bachmeier, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuß, plagte das Gewissen, schließlich hatte er jede Menge Fragen im Gepäck. Aber zu viele neue „Ungereimtheiten“ hatten sich für die Opposition aus Bernd Schmidbauers ermüdender Zweieinhalbstundenvorlesung zu Beginn der Vernehmung ergeben, die es auch erforderlich machten, neu in die Akten zu schauen. Manfred Such von Bündnis 90/Die Grünen bestand darauf, auch im Geheimschutzraum zum Datenvergleich neuen Akteneinblick zu nehmen. Auf diese Weise wollte die Opposition das taktische Spiel auf Zeit von Bernd Schmidbauer und den Unionsvertretern aushebeln, die im Ausschuß über die Mehrheit verfügen. Schon am Nachmittag hatte der Ausschußvorsitzende Friedrich zu Umstehenden auf dem Flur gesagt, „daß meine Leute natürlich wollen, daß die Opposition erst spätabends ihre Fragen stellen kann, wenn die Presse nimmer da ist und die Opposition natürlich eine Vertagung auf einen für sie günstigeren Termin will“. Die Bitte um Vertagung wurde aber von der Ausschußmehrheit schlicht überhört. Die Opposition wolle nur „Politspektakel, aber keine Aufklärung“ tönte Andreas Schmidt von der CDU.

Bernd Schmidbauer prahlte gar im Ausschuß, er wisse, warum die keine Lust mehr haben: weil deren „Seifenblasen“ durch seine Aussagen „geplatzt sind“. Schließlich lasse sich durch kein Dokument beweisen, daß der Münchener Plutoniumdeal am 10. 8. 94 durch ihn inszeniert worden sei und der BND seine Kompetenzen dabei überschritten habe. Doch die Indizien dafür mehren sich, und entkräften konnte Schmidbauer sie nicht.

Denn maßgeblich wirkten BND-Mitarbeiter als Scheinaufkäufer des Plutoniums mit und halfen, einen illegalen Nachfragemarkt für das kriegswaffentaugliche Material zu schaffen. Das aber ist dem BND strikt verboten – betonte der Geheimdienstaufseher auch immer wieder selbst. Sogar das koalitionstreue FDP-Ausschußmitglied Max Stadler argwöhnte, daß sich die „Amtshilfe des BND im Spannungsfeld von zulässiger und unzulässiger Mitwirkung bewegt, gerade angesichts des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten“. Darüber nachzudenken sei „der eigentliche Impuls über den Tag hinaus“. Im Gegensatz zu früheren Plutoniumfällen und zu seinem Selbstverständnis, über außergewöhnliche BND-Projekte umfassend informiert zu sein, bestand der Geheimdienstkoordinator im Münchener Fall darauf, nicht näher damit befaßt gewesen zu sein. Das hieße aber, daß er seinen Dienst damals nicht unter Kontrolle hatte. Dann „hat er hier fahrlässig gehandelt“, urteilte der bündnisgrüne Manfred Such. Für Schmidbauer sind jedoch die bayrischen Behörden für mangelnde Informationen verantwortlich, die wiederum dem BND den schwarzen Peter zuschieben. Denn dessen Dolmetscher stand zwischen allen Beteiligten. Der wichtigste BND-Zeuge, jener „Dolmetscher“ Adrian verweigert inzwischen die Aussage, weil er sich nicht selbst belasten will.

Nach dem Auszug der Opposition aus dem Ausschuß setzten Union und FDP ihre Schmidbauer-Befragung fort, zeitweise mit Fragen, die sich weit vom Untersuchungsauftrag des Ausschusses entfernten. So bekam Bernd Schmidbauer noch einmal die Chance zur Selbstdarstellung im allerdings fast leeren Saal. Dort meckerte er intensiv über kritische Journalisten, zum Beispiel über Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, der von „mir kein Interview mehr bekommt“. Die Opposition hofft nun auf eine „zeitnahe“ Fortsetzung der Schmidbauer- Vernehmung, hat die Ausschußmehrheit aber gegen sich. Die SPD setzt darauf, daß der Geschäftsordnungsausschuß des Bundestags die Situation klären kann. Die Skepsis ist aber groß, ob die „Aufklärungsverhinderungsstrategie der Union“ durchbrochen werden kann, so SPD-Obmann Bachmaier. „Ganz offensichtlich, weil der BND und Herr Schmidbauer doch etwas zu verbergen haben.“ Fürwahr, denn hätte der Staatsminister sonst so ein Theater nötig?

Denn nach wie vor bleiben diese Fragen offen: Wußten BND und Geheimdienstkoordinator, daß das radioaktive Material aus Rußland kam, was wahrscheinlich ist? War es wirklich „Amtshilfe“, die das BND dem bayerischen Landeskriminalamt leistete, oder ganz praktische Mithilfe, die diesen Schmuggel aus Moskau erst in Gang gebracht hat? Nach der ebenfalls unergiebigen dreizehnstündigen Vernehmung von BND- Chef Porzner hatte der Ausschußvorsitzende Gerhard Friedrich (CSU) der taz gegenüber seine Sicht der Dinge kundgetan: „Wenn meine Vermutungen richtig sind, haben die sich für eine Rechtfertigungsstrategie entschieden, und eigentlich erst nachträglich. Nämlich zu sagen, wir glauben, das Zeug ist in Deutschland. Nun sind aber die ganzen Vermerke da. Jetzt haben sie sich darein verrannt, und da kommen sie nimmer weg.“