„Das ist falsch. Das waren Deutsche“

AsylbewerberInnen in Lübeck wollen nicht glauben, daß einer von ihnen den Brand gelegt hat, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen. Zweifel, aber auch Erleichterung bei Deutschen  ■ Aus Lübeck Jan Feddersen

Die fünf Frauen in der Küche schwatzen, als ginge es um allerletzte Gespräche. Nebenbei zerteilen sie Geflügel. Zubereitet wird Soso, ein angolanisches Gericht mit Entenfleisch und Gries. Dort im zweiten Stock des Hauses, an der Rabenstraße 3 im Lübecker Stadtteil Sankt Gertrud, ist die Nachricht, daß ein Mitbewohner des Asylbewerberhauses in der Hafenstraße, ein Mann libanesischer Herkunft, für den Brand in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verantwortlich sein soll, noch nicht angekommen.

Die Sonntagausgabe der Lübecker Nachrichten samt ihrer Titelzeile: „Brandstifter gefaßt?“ liegt dort nicht als Lektüre aus. Die meisten der Bewohner könnten sie auch nicht verstehen, denn die Verkehrssprache unter den schwarzafrikanischen Asylbewerbern ist französisch. Die neunjährige Julia Menaiane, die bei dem Unglück ihre Mutter und ihre jüngere Schwester verlor, schreit nur, als sie davon erfährt, daß es womöglich keine Neonazis waren, die das Feuer gelegt haben: „Das ist falsch. Das waren Deutsche.“

Lübeck am Sonntag nach dem Brand, der die Stadt endgültig und stärker noch als Mölln oder Solingen zum Synonym für Ausländerfeindlichkeit der infamsten Sorte gemacht hat. Die Frauen in der Küche des Asylbewerberheims an der Rabenstraße können und wollen nicht glauben, daß es einer von ihnen gewesen sein soll, der den Brand gelegt hat. Chantal Ngobe aus Zaire ist empört: „Der hat doch oben gewohnt, aber das Feuer ist im Flur ausgebrochen.“ Auch Kunga Ntembi aus Angola, in Lübeck zu Besuch aus Kiel, will sich nicht mit den Indizien zufriedengeben. „Es hat doch in den letzten Monaten dauernd gebrannt, und immer waren wir irgendwo dabei, immer war es gefährlich, und immer ging es gegen uns, und die Polizei hat es immer nicht zur Kenntnis nehmen wollen.“

Die Ordnungshüter genießen den denkbar schlechtesten Ruf unter den Flüchtlingen, vor allem bei jenen aus Afrika: „Jetzt haben alle Mitleid“, sagt Mayawa Datoko, „aber noch vor drei Monaten hat mich die Polizei, nachdem ich in der Kirche war, mit dem Polizeiwagen eine Stunde durch die Stadt gefahren, haben immer nur böse gegrinst und mich mit Gefängnis bedroht. Dabei hatte ich sie nur um Hilfe gebeten, weil mich drei Männer überfallen wollten.“ Diskutiert wird in der Wohnetage kaum mehr der Brand, sondern der „Skandal, daß wir nicht in Wohnungen leben dürfen, sondern in Heimen“. Josef Mbuku aus Zaire, der vor zwei Tagen aus dem Saarland angereist kam, um sich nach dem Schicksal seiner Freunde und Verwandten zu erkundigen, erklärt als Dissident ganz ruhig, daß die Polizei ihre „Arbeit machen soll“: „Wir brauchen Wohnungen – dann werden Deutsche und Ausländer sich ganz natürlich aneinander gewöhnen.“

Vor dem Café Niederegger, dort, wo das bekannte Marzipan verkauft wird und wo Lübeck sich so bürgerlich gediegen gibt wie nirgendwo sonst, ist nichts mehr von der Aufgeregtheit der vergangenen Tage zu spüren. Viele Menschen gehen bei Frosttemperaturen und unter strahlendem Sonnenschein spazieren. „Man kann sich erleichtert fühlen, wenn sich herausstellt, daß es kein Brandanschlag war“, sagt Dirk Kaireis, der als Feuerwehrmann selbst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag am Unglücksort im Einsatz war.

„Alles noch offen“, findet Arno Gebauer, 38 Jahre, arbeitsloser Zimmermann aus Lübeck. Er will der Polizeigeschichte keinen Glauben schenken. „Ich lebe selbst mit Ausländern zusammen – und das soll auch so bleiben“, teilt er ungefragt mit. „Die kommen immer zu mir, wir reden und verstehen uns, so gut es eben geht. Mir tun die Menschen ganz doll leid, die Angehörige verloren haben.“

Erika und Joachim Meinke aus Einhaus, einem Dorf in der Nähe Lübecks, würden sich freuen, wenn die „Nachricht“, daß es kein ausländerfeindlicher Akt war, auch wirklich in alle Welt hinausgemeldet würde, sonst komme Lübeck ja nie aus den negativen Schlagzeilen. Der Innenarchitekt beteuert, es gehe ihm sehr nahe, daß zehn Menschen verbrannt sind: „Aber wenn das Deutsche gewesen wären, hätte es nur halb soviel Theater gegeben“, und: „Ein Glück, daß es nicht zum Schlimmsten gekommen ist.“ Mike Dörmann, Schaufensterbummler aus Wismar auf der Rückreise von einer Eistour in den Niederlanden, mag den Lübecker Ermittlungsbehörden noch aus einem anderen Grunde nicht trauen: „Das riecht so nach Stasi-Methoden – die drehen das so hin, daß es keine Neonazis waren. Kenn' ich doch alles aus der DDR.“