Rote Rosen, blasse Haut

■ Premiere in Oldenburg: Robert Schneiders Einakter „Dreck“, bitterböse Tiraden eines Rosenverkäufers

Stadtplan, Glühbirnen und eine Packung Rattengift. Das hat sich Sad zuerst gekauft, als er in „diese Stadt“ kam. Die Stadt mit den nach Salmiak riechenden Schaufenstern und den hübschen Parkbänken, auf die sich Sad noch nie gesetzt hat. Das schwört er. Dazu hat er nämlich kein Recht. Weil er einen zu flachen Hinterkopf hat, dicke Lippen und zu große Poren. Und weil er ein Illegaler ist, ein illegaler Rosenverkäufer aus dem Irak in der Stadt, die nie genannt wird: Wien.

Eineinviertel Stunden dauert Robert Schneiders Einpersonenstück „Dreck“, das am Samstag im Staatstheater Oldenburg Premiere hatte. Der Autor des zum Bestseller avancierten Romans „Schlafes Bruder“ läßt seine Figur – „Einer“ – monologisieren: über seine Sehnsucht nach der deutschen Sprache, den „Schmutz“, der ihm „aus der Seele herauskommt“, über sein Dahinvegetieren in dem Zimmer, das er mit seinem Freund, einem anderen Illegalen, teilt, über das Warten. Auf den Abend, wo Sad wieder loszieht zu seiner Tour in 58 Lokale, zu den 40jährigen Männern, die Rosen kaufen, um an die 40jährigen Frauen ranzukommen.

Schneiders Text ist frei von Larmoyanz, von political correctness, von pädagogisierender Schwarzweiß-Malerei. Ein Ausnahmefall. René Rollin spielt Sad und mit den Emotionen des Publikums. Ein Wechselbad der Gefühle. Denn auf der bloß von ein paar Kerzen erhellten, spartanisch ausgestatteten Bühne – Sads Zimmer, in dem der Strom ausgefallen ist – wechselt der Rosenverkäufer ständig den Blickwinkel auf seine unbehauste Existenz. Selbsthaß, Zynismus, den er sich sofort verbietet, geflüsterte Geständnisse, bald als Lüge denunziert, Schwüre, Flüche, Liebeserklärungen, Trauer. Sad leidet darunter, daß er allmählich glaubt, daß die anderen Recht haben mit ihren Vorurteilen. Langsam sickern zersetzende Worte in ihn ein, wie Gift: daß „unser Urin schärfer ist, weil wir kiloweise rohe Zwiebeln essen“; daß „rote Rosen sich besser mit blasser Haut mischen“; daß die „unsere Straßen immer dunkler werden“; daß „Mensch und Mensch nicht dasselbe ist“.

Regisseur Thomas Lichtenstein hat die Regieanweiseungen in Schneiders Text noch weiter reduziert. Keine „Bundeshymne“ ertönt in seiner Inszenierung, die die sarkastischen Brechungen im Stück noch verschärft. Kein finale maestoso, wo Sad, laut Regieanweisung, gegen die überlaut einzuspielende Toncollage der Außenwelt anschreien muß. Das hat Lichtenstein alles weggelassen. „Dreck“ wurde nämlich schon einmal testaufgeführt vor der Premiere. Kein unübliches Verfahren in Oldenburg, sagt der Regisseur. Und den Reaktionen des Publikums – Volkshochschulenbesucher – war zu entnehmen: zu emotional. Jedenfalls nach Lichtensteins Geschmack. Im Test kullerten Tränen, nachdem der illegale Rosenverkäufer Sad mit seinen bitterbösen Tiraden am Ende war. Und manche Kritik seitens der „Dreck“–Tester war dem Regisseur auch zu positiv. Da wurde er mißtrauisch und hat noch manches verändert. Das sei ja eine Chance, daß das bei „kleinen“ Inszenierungen noch kurz vor der Premiere möglich ist.

Lichtenstein verläßt sich ganz auf Schneiders Text. Fast unmerklich unterstützt ein Scheinwerfer den trügerischen Kerzenschimmer gegen Ende des verbalen Parforce-Rittes. Auch in puncto Lichtführung kein Zugeständnis ans Publikum. Sad soll diffus bleiben. Und die Zuschauer ständig in die Falle laufen lassen und die Klischees ins Leere. Sad ist „ein Stück Scheiße“, aber er „heißt nicht einmal Sad“, sondern Ahmed. „Das ist die Wahrheit“. Die Wahrheit in Sads bodenloser Welt, in der jede Identität Vorbehalte auslöst. Nur „Rosen wissen von nichts.“

Alexander Musik

Nächste Aufführungen: heute, 19.30 Uhr, Staatstheater Oldenburg, Spielraum