■ Standbild
: Die Einklatscherin

„Vera am Mittag“, werktags, Sat.1, 12.00 Uhr

„Warm-up“ nennt man es beim Fernsehen, wenn vor der Show jemand ins Studio kommt, um das Publikum in Klatschlaune zu bringen. Meistens sind es ganz einfache Übungen wie gleichzeitiges Johlen, manchmal auch die Rakete. Wenn die ZuschauerInnen dann so richtig in Stimmung sind, müssen die Einklatscher für die Moderatoren die Bühne räumen. Ein ganz schön frustrierender Job, auch wenn einem der Produzent tröstend zuflüstert, daß man irgendwann eine eigene Show bekommt. Meistens ist das eine glatte Lüge.

Nicht so bei Vera Int-Veen. Die Warm-upperin von Rudi Carells „Herzblatt“ und Gottschalks „Late-Night“ hat den Sprung vom Aufwärm- ins Wettkampfprogramm geschafft. Bei Sat.1, wo es im Augenblick wohl am leichtesten ist, eine eigene Sendung zu bekommen, und leider noch nicht zur Prime time, eher zur Essenszeit, weshalb Int- Veens Talkshow auch „Vera am Mittag“ heißt.

Schon wieder Talk? Ja, schon wieder Talk. Aber diesmal gaaanz anders. Viel tiefer nämlich. Das Talent, ein Publikum in wenigen Minuten in Schunkellaune zu bringen, läßt sich nämlich auch anders einsetzen – in Richtung Lynchstimmung. Und die erzeugt niemand schneller als der „Anwalt der Volksmeinung“, wie Sat.1 die Frau nennt. Das klingt nach Stammtisch und ist auch so gemeint, denn im Gegensatz zu Meiser & Co., die das Krawallniveau entweder erst gegen Ende oder gar nicht erreichen, gibt es bei Int-Veen Polarisierung von Anfang an. Wenn dabei eine Ohrfeige rausspringt, um so besser.

Gleich die ersten Gäste waren ein Dream Team in puncto Opferrolle: Zum Thema „Ich liebe einen Teenager“ durften sich der 59jährige Ludwig und seine 19jährige Frau Anna vorführen lassen. Für Int-Veen und das Publikum ein klarer Fall: er Kinderficker, sie geldgeiler Wirtschaftsflüchtling aus Kasachstan. „Ich habe so meine Vorurteile“, gab Int-Veen mit rauchig-prolliger Stimme die Vorlage fürs Publikum. Um das Bild vom Päderasten abzurunden, erzählte Ludwigs Stieftochter aus erster Ehe von ekligen Seitensprüngen, und die Regie blendete den ersten Liebesbrief an Anna (in altgriechisch) ein. Der Rest war pure Pöbelei.

„Vera am Mittag“ ist die bisher ehrlichste Kopie amerikanischer Krawalltalkshows, bei denen sich die Nachbarn vor der Kamera prügeln (ausführlich beschrieben in der taz vom 17.1.96). Vera Int-Veen verbrämt die Lust an der Entgleisung nicht mehr mit der üblichen Betroffenheit, sondern läßt ihrem Voyeurismus freien Lauf. Lange genug warm gemacht hat sie sich ja. Oliver Gehrs