Unter Deutsche statt ins Ghetto

■ Nach dem Lübecker Mordbrand: Politiker von SPD, Grünen und FDP gegen Kasernierung von Asylbewerbern

Berlin (taz) – Nach der Brandkatastrophe in einem Lübecker Flüchtlingsheim sind Konsequenzen gefragt. Der hessische Justizminister Rupert von Plottnitz (Bündnis 90/Die Grünen) und die SPD- Bundestagsabgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast setzten sich gestern gegenüber der taz für eine dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern ein. Plottnitz erklärte, es sei „nicht von der Hand zu weisen, daß bei auffälligen, isolierten Großeinrichtungen für Asylbewerber das Risiko für Anschläge, welcher Provenienz auch immer, größer ist“. Außerdem sei die dezentrale Unterbringung „meist auch kostengünstiger“. Juristische Probleme sieht Plottnitz dabei ebensowenig wie Sonntag- Wolgast, die dafür plädiert, daß Länder und Gemeinden „in den Stand versetzt werden“, Asylbewerber in kleinen Wohneinheiten unterbringen zu können.

Auch Exjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält kleine Unterbringungsmöglichkeiten für „sehr gut“, weil sie weniger Risiken bergen würden. Sie lehnt Sammelunterkünfte aber nicht generell ab, weil viele Gemeinden nicht die Möglichkeit hätten, Flüchtlinge in Kleingruppen wohnen zu lassen.

Eindeutig gegen eine dezentrale Unterbringung sprach sich gegenüber der taz der Unionsinnenpolitiker Wolfang Zeitlemann (CSU) aus. Wenn man offensichtlich unbegründete Asylbewerber zügig zurückführen wolle, stärke eine dezentrale Unterbringung nur den Wunsch nach einem Leben in Deutschland. Die Forderungen des Lübecker Bürgermeisters Michael Bouteiller (SPD) hält er deshalb für „von einem unkundigen Bürgermeister geschwätzt“.

Bouteiller kündigte gestern an, bis Ende der Woche seien neue Wohnungen für die Bewohner des ausgebrannten Hauses gefunden. Der Bürgermeister erneuerte seine Forderung, vor 1993 nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu geben. Er forderte „freies Geleit“ für Afrikaner, die ihre toten Angehörigen in der Heimat beisetzen wollten. Die Flüchtlinge müßten nach Deutschland zurückkehren dürfen, wenn sie die Toten beerdigt haben.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben gestern bei ihren Ermittlungen in Lübeck eine Nachrichtensperre verhängt. Gegen einen 21jährigen Libanesen, der mit seiner Familie in dem Haus wohnte, war am Samstag Haftbefehl ergangen. In dem Haftbefehlsantrag wird ihm vorgeworfen, er habe Streit mit einem Bewohner im ersten Stockwerk gehabt. Dieser bestritt aber im ZDF einen Konflikt. Zudem wohne er gar nicht in dem Lübecker Haus, sondern habe nur seine Cousine besucht, sagte er. Der Sprecher der afrikanischen Hausbewohner, Bacar Gadji, erklärte: „Konflikte, die zu so einer Tat führen können, sind uns nicht bekannt.“ Solange die Schuld des Verhafteten nicht bewiesen sei, würden sich die Bewohner des abgebrannten Hauses mit ihm solidarisch erklären. Inzwischen vermutet die Lübecker Polizei als Motiv für die Mordtat Eifersucht. Die Lübecker Staatsanwaltschaft erklärte, sie nehme keine Stellung zu Äußerungen von möglichen Zeugen gegenüber den Medien – aus Gründen der Gefährdung des Ermittlungszweckes.

Der junge Libanese hatte nach Darstellung der Staatsanwaltschaft in der Brandnacht einem Rettungssanitäter gesagt: „Wir waren es“ – sein Anwalt bestreitet diese Aussage. Außerdem habe er „Wissen mitgeteilt, über das nur ein Täter verfügen kann“. In den Vernehmungen bestreitet er jedoch jede Beteiligung an der Brandstiftung. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß der 21jährige die Tat nicht allein begangen hat. klh/nin

Tagesthema auf Seite 3

Kommentar auf Seite 10