Einfach nur fantastisch

■ Maurizio Pollini brachte eine Überraschung mit nach Hamburg

Schön, daß Maurizio Pollini so regelmäßig nach Hamburg kommt. Noch schöner, daß Überraschungen seine Programme beleben. Am Dienstag war die Überraschung Salvatore Sciarrino ( geb. 1947), ein Freund des Pianisten. Pollini hatte dessen 5. Sonate dabei.

Fein zusammengestellt gleich die vier Chopin-Stücke des Anfangs. Das selten zu hörende Prélude op. 45, schweifende Melancholie, Pollini hing einen cis-moll-Schleier darüber. Leichterhand die Trauer in der Ballade Nr. 4 op. 52, wo auf reich koloriertem Dreiviertel-Baß Haupt- und Seitenthema immer wiederkehren, bevor das Werk über wirbelnden Sechzehntel-Triolen zum großen Kleinmut des Beginns zurückkehrt. Ein Kleinod danach die Berceuse op. 57, in der sich ein herziges Des-Dur-Thema tänzerisch kapriziert. Im Scherzo Nr. 3 op. 39 nahm Pollini die Dialektik wichtig zwischen Gepräng und Gekicher, Vollgriffigkeit und Filigran.

Um Inszenierung zarter Kontraste ging es auch in Sciarrinos Sonate. Wer im 1. Rang links saß, konnte dem Pianisten über die Schulter sehen und bemerken, daß die Partitur handgeschrieben war. Sie stiftete Spannung und das Gefühl von Raum. In lang pedalisierten Ackorddoppeln mit regellosen Pausen dazwischen, in beharrlich wütendem Orgelpunkt in maximaler Registerweite, in grollenden Bässen und vielleicht ironisierendem Diskant kommunizierte Pollini kunstvoll mit dem Publikum und, o Wunder, das Publikum, es war begeistert.

Gemütlich im Vergleich dazu Débussys Préludes I. Heft. Melodien und Farben erklangen, wurden zerlegt und wurden nur immer ganzer unter Pollinis Händen. Alles will klassisch klingen bei ihm; und doch ist er sinnlicher geworden auf die besonnene Art. Er reißt nicht hin, er ist einfach nur fantastisch. Die Zartheit, mit der er den Anfang von Chopins zweiter Ballade op. 31 erzählte, wo sie zart beginnt, kam von ganz innen und ging nach innen. Uwe aber fragte sich, ob die blonde Frau, die bei Sciarrinos Sonate die Seiten so wunderlich umblätterte, wohl barfuß gewesen sei?

Stefan Siegert