Sanssouci: Vorschlag
■ Vergessener Insidertip: Die Regisseurin Storm de Hirsch
Zwischen flackernden Kratzern und verschwommenen Negativkopien tritt plötzlich eine klar fotografierte Einstellung hervor: Eine Männerhand schwenkt eine halbvolle Kaffeetasse über dem Tisch. Gerade als sich der Betrachter auf die ruhige Bewegung in der wüsten Farbcollage einstellen will, trickst ihn die Regisseurin aus: Die Kamera schwenkt nach rechts, das Motiv verliert sich am Bildrand. Die Dichterin, Malerin und Filmemacherin mit dem aparten Namen Storm de Hirsch verweigert sich in ihrem Kurzfilm „Divinations“ den Regeln der Kino-Kunst – ohne sie jemals erlernt zu haben. Wo das Abstrakte sich behaupten will, schneidet sie Stilleben ein, wo das Auge sich ausruhen will, blitzen Lichtorgien von der Leinwand. De Hirsch hat in den sechziger und siebziger Jahren etwa 25 Kurzfilme und einen Spielfilm gedreht. Damals galt sie als Geheimtip, heute taucht ihr Name in der einschlägigen Literatur nicht mehr auf. In der Reihe „Sie zum Beispiel“ stellen Arsenal und Babylon-Mitte die vergessene Regisseurin jetzt mit einem Großteil ihrer Arbeiten vor. Der Spielfilm „Goodbye in the Mirror“ (1964) fällt gegenüber den Kurzarbeiten ab. Drei Sprachlehrerinnen aus den USA, England und Schweden teilen sich eine Wohnung in Rom und jagen italienische Männer. Es kommt, wie es kommen muß: Eifersucht, Zerwürfnis, eine bröckelnde Love-Story. Einsamkeit im Großstadtfilm. Ohne Spannung und mit nur wenig Witz und Psychologie ist diese Geschichte erzählt. Was im Gedächtnis bleibt, sind die wie beiläufig eingesammelten Schwarzweißbilder: Regentropfen, die zur Sturmflut aufgebläht werden, Kurzstudien von Passanten und immer wieder Hände. Wie in „Divinations“ gelingt es de Hirsch, nur über die Bewegung seiner Finger einen Menschen ins Bild zu bringen. Doch anders als der Kurzfilm will „Goodbye in the Mirror“ mehr melancholisch als verstörend sein. Brüche sucht man hier vergebens. Kolja Mensing
Storm de Hirsch: Kurzfilme/„Goodbye in the Mirror“, heute im Arsenal und am 27.1. im Babylon-Mitte, je 19 Uhr
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