"Arme existieren nicht"

■ Interview mit Daniel Salinas, Mitarbeiter eines linken Radiosenders in El Salvador und Internet-Nutzer, über das Globale Dorf aus südlicher Sicht

Daniel Salinas ist Mitarbeiter des linken Senders Radio Doble F in El Salvador, des Nachfolgers des Ex- Guerillasenders Farabundo Marti. Als Gast der Konferenz „Next 5 Minutes – Tactical Media“, die am vergangenen Wochenende in Amsterdam stattfand, sprach er über das Internet in seinem Land.

taz: Welche Bedeutung hat für Sie das Internet?

Daniel Salinas: Es ist einfach ein Hilfsmittel, das funktioniert. Wir vom Radio benutzen es dreimal am Tag, in erster Linie, um an internationale Nachrichten zu kommen. Darüber hinaus versenden und empfangen wir auch E-Mail. Das ist für uns als Medienleute, die auch das internationale Geschehen möglichst frisch an die HörerInnen weitergeben wollen, sehr wichtig. Wir geben natürlich auch aktuelle Nachrichten aus El Salvador übers Internet an andere weiter.

Haben Sie Zugang über die Universität oder über einen kommerziellen Provider?

In El Salvador geht das nur über die staatliche Telefongesellschaft Antel. Der Internet-Zugang kostet einmalig 800 Dollar, und für jede Minute online zahlt man dann zusätzlich noch 50 Cent. Das ist ziemlich teuer für uns, aber es gibt leider keine Alternativen. Ich habe heute mit Leuten von einer Amsterdamer Radiostation gesprochen, die den ganzen Tag im Netz sind. Das muß ja Millionen an Gebühren kosten, habe ich mich gewundert, aber sie haben mir erklärt, daß der Zugang hier kostenlos ist. Wenn wir in El Salvador solche Möglichkeiten hätten, wäre der Austausch natürlich um vieles fruchtbarer... So können wir nur das Allernötigste abrufen und einspeisen, das geschieht meistens in zehn Minuten, wir kommen dann auf Kosten von etwa 15 Dollar am Tag.

Hierzulande vergeht in letzter Zeit kaum ein Tag ohne Presseberichte übers Internet. Wie ist das bei Ihnen? Wird in El Salvador übers Netz diskutiert?

Bei uns ist das alles noch sehr neu. Wir beispielsweise sind erst seit November 1995 am Netz, nur die Universität war vor uns dran. Die Leute, die in El Salvador zum Internet Zugang haben, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Es ist einfach sehr teuer, und eine große Mehrheit hat bei uns nicht einmal einen Telefonanschluß. Viele benutzen nur öffentliche Telefone, und in ländlichen Bereichen gibt es nicht einmal die. Es sind vor allem Institutionen und Firmen, die das Internet nutzen.

Wie sieht das an der Uni aus? Ist unter StudentInnen die Benutzung von PCs üblich?

Nein, der durchschnittliche Student besitzt keinen eigenen Computer. Die Arbeiten schreibt er mit der Hand und gibt sie dann in ein Schreibbüro, wo die Arbeit gegen Bezahlung entweder auf einer Schreibmaschine oder einem Computer getippt wird. Die meisten Studenten können sich auch keine Schreibmaschine leisten. In El Salvador beträgt der Mindestlohn 150 Dollar, viele Menschen müssen davon auch ihre Kinder ernähren und ihnen später das Studium finanzieren. Studieren hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert, weil die Eltern ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen wollen, als sie es selbst hatten. Die Studierenden selbst arbeiten auch nebenher.

In Europa und den USA werden zum Teil große Hoffnungen ins Internet gesetzt. Durch seine dezentrale Struktur, die anders als bei herkömmlichen Medien gleichberechtigte Kommunikation ermöglicht, soll es zur Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen. Was halten Sie davon?

Ich nehme an, daß die Leute, die so etwas denken, ökonomisch gutgestellt sind. Wenn die Armen der Welt wirklich Zugang zum Internet hätten und ihre Standpunkte, ihre Anklagen dort veröffentlichen könnten, um die Welt zu demokratisieren, dann wäre das schone eine gute Sache. Aber das sind leider genau die Menschen, die eben im Internet auch nicht zu Wort kommen und dort einfach gar nicht existieren. Selbst wir können unsere Meinung im Netz nicht wirklich verbreiten, weil wir uns aus finanziellen Gründen auf das Nötigste beschränken müssen.

Die wunderbare Idee von gleichberechtigter Kommunikation – jeder ist Sender und Empfänger zugleich – relativiert sich schnell, wenn man bedenkt, daß die Leute hier in Holland den ganzen Tag am Netz hängen können und wir dort zehn Minuten.

Es gibt auch Leute, die sagen, daß im Netz Rasse, Klasse und Geschlecht keine Rolle mehr spielen, weil dort nur die Information transportiert wird und die physischen Attribute der Kommunizierenden verschwinden.

Das kann vielleicht in Europa funktionieren, obwohl ich auch da meine Zweifel hätte. Nicht in Lateinamerika. Höchstens in dem Sinne, daß sowieso nur ein paar Leute ans Internet kommen und alle anderen von vornherein ausgeschlossen sind. Insofern verstärkt es die gesellschaftlichen Gräben eher noch.

Wie sieht es mit der Sprache aus? Die meisten Texte im Internet sind ja auf Englisch.

Das ist eine zusätzliche Hürde. Englisch ist zwar Weltsprache, aber ich kann beispielsweise nur die Sachen lesen und verwenden, die auch in spanischer Sprache im Netz abgelegt sind. Und das, obwohl ich sogar das Glück hatte, aufs Gymnasium zu gehen. Interview: Miriam Lang