Grimmiger Präsident, farbloser Konkurrent

Clintons „Rede an die Nation“ läutet den US-Wahlkampf ein. Wer ist der bessere Landesvater?  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Er hat schon fröhlichere Ansprachen gehalten. Seine Rede zur Lage der Nation – ein jährliches Ritual, bei dem der US-Präsident vor der versammelten Legislative, Exekutive und Judikative im Kapitol spricht – schien Bill Clinton weit weniger Spaß zu machen als sonst. Der grimmige Gesichtsausdruck des Präsidenten mag daran gelegen haben, daß seine Frau gerade eine Vorladung im Zusammenhang mit der Whitewater-Affäre erhalten hat. Oder daran, daß ab morgen erneut die Schließung zahlreicher Bundesbehörden aufgrund des Haushaltsstreits zwischen Weißem Haus und Kongreß droht. Oder daran, daß die USA aus eben diesem Grund Ende Februar zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Zinszahlungen an ihre Gläubiger schuldig bleiben könnten.

Offiziell war es eine Rede zur Lage der Nation, inoffiziell der Auftakt zur Wiederwahlkampagne des Präsidenten. Dem sicheren Gespür des Wahlkämpfers folgend bediente sich Clinton freigebig aus der ideologischen Vorratskammer der Republikaner. Er versprach das Ende von „big government“ und die Schrumpfung bundesstaatlicher Programme. Er versprach Steuersenkungen, Haushaltsausgleich und Maßnahmen gegen Sex und Gewalt im Fernsehen. Er forderte eine automatische lebenslange Freiheitsstrafe für Bandenmitglieder und Drogenhändler in Wohngebieten. Begleitet von Applaus verkündete er die Berufung eines Generals und Golfkriegshelden zum neuen Chefkoordinator der US-Drogenpolitik.

Dieser konservativen Geschenkliste ging eine durchweg rosige Beschreibung der ökonomischen Lage der Nation voran: Arbeitsplätze werden geschaffen, die Inflationsrate sinkt, Exporte steigen und Geschäftsgründungen werden gefördert. Zwischendurch flocht Clinton einige Bonbons für seine eigene Partei ein, als er zum Beispiel die Beibehaltung von Umweltschutzmaßnahmen und die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes forderte.

Am Ende konnte man den ratlosen und zornigen Gesichtern der republikanischen Abgeordneten ablesen, was in ihren Köpfen vorging: Wie soll man jemanden bekämpfen, der sich einem so ungeniert an den Hals wirft – und dann zubeißt? Denn Clinton verstand es am Ende seiner Ansprache geschickt, den Republikanern die Schuld für die Budgetblockade zuzuschieben.

Auf die Ehrentribüne hatte das Weiße Haus einen Angestellten der Sozialversicherungsbehörde aus Oklahoma City eingeladen. Der hatte nicht nur mehrere Menschen aus dem im April 1995 zerbombten Bundesgebäude gerettet, sondern während der offiziellen Behördenschließung vor Weihnachten auch noch unentgeltlich weitergearbeitet. Stehende Ovationen für den Mann des öffentlichen Dienstes – und eine väterlich drohende Warnung des Präsidenten: „Schließt nie wieder die Bundesverwaltung.“

Entsprechend farb- und kraftlos fiel die republikanische Antwort aus – gehalten von Bob Dole, Führer der republikanischen Mehrheitsfraktion im Senat und bislang aussichtsreichster Anwärter für die Nominierung seiner Partei als Präsidentschaftskandidat. Außer einigen rhetorischen Ausfällen gegen die „liberale Elite“ des Landes und gegen Clintons notorischen Widersprüchen zwischen Worten und Taten fiel Dole nicht allzu viel ein. Clinton hatte ihm zuvor sogar sein Lieblingsthema gestohlen: Die Kritik an Hollywood, das mit immer mehr Sex und Gewalt den Nachwuchs verderbe.

Vorerst aber heißt Doles größte Sorge nicht Bill Clinton, sondern Steve Forbes. Was bis vor kurzem noch wie ein problemloser Durchmarsch Doles von den ersten Vorwahlen am 12. Februar in Iowa und am 20. Februar in New Hampshire bis zum Parteitag der Republikaner Mitte August im kalifornischen San Diego aussah, hat sich in ein ernsthaftes Rennen verwandelt. Milliardenerbe Forbes ist dem Senator aus Kansas laut Umfragen in New Hampshire gefährlich nahegerückt. Der blitzartige Aufstieg des 48jährigen erinnert an Ross Perots Kampagne vor vier Jahren. Wie Perot kann sich Forbes einen Wahlkampf problemlos leisten: Die Auslage von 25 Millionen Dollar dürfte ihn bei einem geschätzten Privatvermögen von über 400 Millionen kaum tangieren. Wie Perot präsentiert sich Forbes als Außenseiter, der nichts mit dem Washingtoner Establishment zu tun habe. Wie Perot hat Forbes ein zentrales Wahlkampfthema: Für den texanischen Computer-Millionär war es vor vier Jahren das Haushaltsdefizit, für Forbes ist es 1996 die Einführung einer „flat tax“, also eines einzigen Steuersatzes für alle Einkommensschichten. Daß eine solche Steuerrevolution einen Geldregen für die Reichen bedeuten würde, hat die US-Presse mittlerweile ausgiebigst dargestellt. Doch dem Beliebtheitszuwachs für Forbes hat es keinen Abbruch getan. Inzwischen haben sich auch die Republikaner und fast alle ihre Präsidentschaftsanwärter dieser Idee verschrieben.

Forbes schafft Unruhe bei Dole – und Untergangsstimmung bei den übrigen Konkurrenten. Lamar Alexander, ehemals Erziehungsminister unter Präsident George Bush, und Phil Gramm, der erzkonservative Senator aus Texas, hatten sich Chancen auf ein Kopf- an-Kopf-Rennen mit Dole ausgemalt. Doch erst wurden ihre Vorwahlkampagnen von Colin Powell verdorben, und nun stiehlt ihnen Steve Forbes die Show.

Einzig Pat Buchanan, Ex-CNN- Kommentator, gibt sich ungerührt. Sein Ruf als Sprachrohr des rechten Flügels in der Partei ist unangefochten. Hatte er 1992 mit einer rabiaten Parteitagsrede gegen Frauenrechte, Abtreibung, Homosexualität und Einwanderung sich den Ruf des destruktiven Scharfmachers eingehandelt, so nimmt er heute mit Genugtuung zur Kenntnis: „Wenn Bob Dole jetzt zum Kulturkrieg um die Seele Amerikas aufruft, dann ist das nicht mehr die republikanische Partei des George Bush, sondern die des Pat Buchanan.“