Immer nett sein zur Gewoba

■ Vierköpfige Familie lebt auf 63 Quadratmetern - und hat bei der Gewoba keine Chance

Seine elektrische Eisenbahn ist Stefans liebstes Spielzeug. Stundenlang sitzt der siebenjährige Knirps zwischen Spanplatte und Schreibtisch gezwängt, und sieht zu, wie die Lokomotive ihre Runden dreht. Etwa neun Quadratmeter mißt das kleine Zimmer, das er sich mit seiner achtjährigen Schwester Jeany teilt. Unter der Spanplatte, auf die ihr Vater die Eisenbahnschienen montiert hat, liegt Stefans Matratze. Wenn er abends schlafen geht, wird die Unterlage hochgeklappt. „Das war die einzige Möglichkeit, die Eisenbahn hier überhaupt unterzukriegen“, sagt seine Mutter Sybille Hausmann (Namen geändert). Mit ihren drei Kindern lebt die 35jährige in einer 63-Quadratmeter-Wohnung in der Vahr. „Das ist einfach zu eng“, findet Helmut Hausmann. „Ich bin irgendwann ausgezogen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Seitdem verstehen meine Frau und ich uns bestens. Wenn wir eine größere Wohnung bekommen würden, würde ich sofort wieder einziehen.“

Doch die Chancen für eine größere Wohnung bei der Gewoba stehen eher schlecht. Seit sieben Jahren bemüht sich Sybille Hausmann um eine Wohnung – ohne Erfolg. Die Raumnot hat Sybille Hausmann erfinderisch werden lassen: Auf dem alten Schulschreibtisch im Kinderzimmer steht der Kaufmannsladen. Daneben ist das Hochbett aufgebaut, in dem Jeany schläft. Die Kisten unter dem Bett quellen über von Puppen, Plastikfiguren, Autos, Bauklötzen und anderen Spielsachen. In der Küche ist der Trockner auf dem Kühlschrank aufgetürmt. Im Flur steht ein zusammengeklapptes Gästebett. „Das schiebe ich abends ins Wohnzimmer, um darauf zu schlafen“, erzählt Sybille Hausmann. Nur die 14jährige Tochter Tanja nennt ein kleines Zimmer ihr eigen. „Doch die Kleinen kommen oft zu ihr. Sie hat selten ihre Ruhe. Die Kinder leiden am meisten unter der Enge.“

Das sehen auch Psychologen so. Bei Stefan haben sie einen „ungesteuerten Bewegungsdrang“, „Rückzugs- und Aggressionszustände“ festgestellt. Sie sind davon überzeugt, daß der Junge „in der räumlichen Enge der derzeitigen Wohnung weder die, für ihn dringend erforderliche äußere, noch innere Ruhe“ findet. „Die 14jährige Tanja leidet in erheblichem Maße darunter, daß sie sich nicht zurückziehen kann“, hat auch ein Kinderarzt beobachtet. „Im Interesse einer gesunden psychosozialen Entwicklung der Kinder ist eine größere Wohnung mit mehr Räumen unbedingt erforderlich“, sind sich die Gutachter einig.

„Natürlich gibt es überall Wohnungen“, weiß Sybille Hausmann. „Aber ich will unbedingt in der Vahr bleiben. Wenn meine Kinder auch noch umgeschult werden, drehen die doch ganz durch. Und in der Vahr ist man eben auf die Gewoba angewiesen.“

Etwa 8.000 Wohnungen hat die Gewoba in der Vahr und in der Gartenstadt. Doch trotz der vielen Mieter ist Sybille Hausmann in der Verwaltung wohlbekannt. Mehrfach hat sie einen Antrag auf eine größere Wohnung gestellt. Die Gewoba lehnte ab. Auch ein Brief der Anwältin von Sybille Hausmann, der die Folgen der beengten Wohnsituation für die Kinder detailliert schildert, konnte die Gesellschaft nicht umstimmen.

„Mit dem Inhalt Ihres o.a. Schreibens gehen wir nicht einig, da sich für uns ein anderes Bild aufzeichnet“, schrieb die Gewoba der Anwältin. „Bereits im Jahr 1992 mußte die Wohnung Ihrer Mandantin total renoviert werden. Unabhängig davon hat Ihre Mandantin mehrfach durch ihr agressives, drohendes Verhalten Mitarbeitern unseres Hauses gegenüber gezeigt, daß sie zu einer kooperativen Zusammenarbeit nicht interessiert ist. Aufgrund des letzten Besuches – mit einer „Bekannten“ – im Nov. 95 bei uns und des erneuten „Fehlverhaltens“ – unabhängig von den uns bisher vorliegenden Unzulänglichkeiten bezügl. der widerrechtlichen Nutzung der Wohnung ihres Vaters – ist unser Haus nicht bereit, Ihrer Mandantin, auch unter Abwägung aller Probleme bezügl. der Überbelegung der Wohnung, eine neue Wohnung unseres Hauses zur Verfügung zu stellen. Dieses wurde Ihrer Mandantin im Nov. 95 pers. mitgeteilt.“

Daß auch sie Fehler gemacht haben könnte, sieht Sybille Hausmann ein. „Vor zehn Jahren war ich mal mit der Miete im Rückstand. Aber das ist doch so lange her. Die Wohnung meines Vaters habe ich nicht besetzt. Mein Vater war schwer krank, deshalb habe ich ihn gepflegt. Als er starb, wollte ich seine vier Zimmer gerne haben. Es hat nicht geklappt. Auch die Wohnung meiner Freundin, auf die ich mich beworben hatte, habe ich nicht bekommen. An der Gewoba kommt man irgendwie nicht vorbei.“

„Rechtlich hat meine Mandantin keine Chance auf eine Wohnung“, sagt auch die Anwältin von Sybille Hausmann. „Aber egal, was zwischen den Mitarbeitern der Gewoba und meiner Mandantin auch vorgefallen ist, man muß eins bedenken: Die Leidtragenden sind die Kinder. Und die können für den Streit nichts. Aus menschlicher Sicht finde ich, sollte die Gewoba im Interesse der Kinder handeln.

Die Gewoba will sich zu dem Fall nicht äußern. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen wir Ihnen keine Auskunft geben.“ Nur eins verrät eine Sprecherin: „Wir können uns von Mietern über die Presse nicht unter Druck setzen lassen. Wer uns so kommt, der bekommt erst recht keine Wohnung.“

kes