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SanssouciNachschlag

■ Selbstbezichtigung und müllküben: Handke vs. Jandl im Podewil

Alle Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, die in den Disziplinen konkrete Poesie, Sprachexperiment und Sprachkritik Rang und Namen haben, kommen aus Österreich. Daß sie sich größtenteils auch als Österreichbeschimpfer betätigten, macht sie in ihrer Heimat unbeliebt und für das deutsche Publikum um so interessanter. Das war in den 60er Jahren.

Dreißig Jahre später schickt Birgitta Linde mittels Textmontage zwei dieser Sprachrevolutionäre von einst in einen szenischen Dichterstreit: Peter Handke, der sich unlängst durch seinen umstrittenen Reisebericht aus Serbien exponierte, mit seinem Sprechstück „Selbstbezichtigung“ aus dem Jahr 1965 und Ernst Jandl mit verschiedenen kurzen Texten unter der Überschrift „müllküben in kopfen“. Dazu wurde die Bühne in zwei Räume geteilt: Der Jandl-Text darf sich in einem hell ausgeleuchteten Guckkasten breitmachen, während für den Handke-Text nur ein düsterer Streifen auf der Vorderbühne bleibt. An der Rampe stehen ordinäre Schreibtischlampen auf Mikrophonständern, die von zwei Sonnenbrillenträgern in Bademänteln mit Handke-Geständnissen vollgequatscht werden: „Ich habe einen Wortschatz erworben.“ Serielle Sätze wie aus einer Lehrhilfe für den Deutschunterricht abgeschrieben: Wortfeld „erwerben“.

Auf der Gegenseite ist ein anderes Paar am jandln, daß es eine Freude ist, besonders wenn Gerhard Polcek spricht, der einzige Österreicher unter den Darstellern. Nebenbei verteilt das Jandl- Team Farbakzente in Grün und Rot auf der Bühne – die Rose wird durch den Fleischwolf gedreht, die Tulpe geköpft – und matscht dezent mit glibbrigem Zeug herum. Zitiert wird das gestische Vokabular des Wiener Aktionismus, allerdings so verkleinert und mit Zuckerguß überzogen, daß es kaum wiederzuerkennen ist. Sogar der Alptraum jedes Theaterzuschauers, die direkte (Körper-)Kontaktaufnahme der Schauspieler mit den Zuschauern, wird durch Jandls „horror story“ zum harmlosen Spaß: „Während der Horror größer wird, wird die Story immer kürzer.“ Mittlerweile ist die Story so kurz geworden, daß sie gar nicht mehr vorhanden ist. Das weiß zwar jeder, aber Brigitta Linde macht es noch einmal sinnlich erfahrbar, angewandte Literaturwissenschaft, wenn man so will. Das letzte Wort haben die dramatischen Ichs der Dichter: „Ich habe diesen Text geschrieben“, beichtet's bei Handke, bei Jandl brilliert's, „Mir schwebt nichts vor, doch ist um mich ein Flattern.“ Kathrin Tiedemann

„Die Unbehandkelbarkeit von Zwangsjandlungen“. Noch heute und morgen, 20 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte

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