Morbider blauer Engel

■ Das Checkpoint-Kino zeigt Filme des vergessenen Hollywood-Losers Hugo Haas

Er drehte Filme mit Budgets, die heute nicht einmal für den Catering-Service reichen würden, und hatte selten mehr als zehn Tage Drehzeit zur Verfügung: Hugo Haas, Autor, Regisseur, Produzent und Schauspieler in Personalunion – ein vergessenes Genie aus dem Reich der amerikanischen B-Movies. Haas machte aus der finanziellen Not eine Tugend und schuf zwischen 1951 und 1962 eine Reihe von kleinen Dramen ohne viel äußere Aktion, die von der Gier nach Sex und Geld handeln; ein abgründiges Kino ohne Helden und Moral.

Immerhin 14 Filme konnte Haas in Amerika inszenieren, doch der Filmgeschichtsschreibung ist er heute kaum mehr als eine Fußnote wert. Gefeierter Schauspieler und Regisseur in der Tschechoslowakei vor dem Zweiten Weltkrieg, flüchtete Haas vor den Nazis ins amerikanische Exil – ein ältlicher Mann mit starkem Akzent und einer Neigung zur Korpulenz. Zehn Jahre lang schlug er sich mit Nebenrollen beim Film oder in Theaterstücken durch, die nach drei Tagen wieder abgesetzt wurden, ehe er 1951 seine gesamten Ersparnisse in die Produktion des Filmes „Pickup“ steckte.

Bereits mit seiner ersten amerikanischen Regiearbeit schuf Haas sich ein Handlungsmuster, dem er auch in Zukunft treu bleiben sollte. Immer wieder erzählt er in seinen Filmen ähnliche Dreiecksgeschichten – morbide Variationen von „Der blaue Engel“ und „The Postman always Rings Twice“: Ein älterer Mann, der es zu bescheidenem Ansehen und Wohlstand gebracht hat (kongenial verkörpert von Haas selbst), wird in kürzester Zeit von einer sehr jungen und sehr blonden Frau ruiniert, die ihn mit einem juvenilen Liebhaber betrügt und ihm nach Sparbuch und Leben trachtet.

Geradezu masochistisch weidet sich Haas an seinem Unglück, kostet die steten Beleidigungen und den eigenen Abstieg aus: „Das Thema des jungen Mädchens und älteren Mannes hat mich seit den berühmten Emil-Jannings-Filmen fasziniert, außerdem steckt darin auch ein klein wenig meiner eigenen Probleme“, bekannte er in einem Interview. Über den Ausgang dieser Geschichten läßt Haas nie einen Zweifel aufkommen. In „Pickup“ spielt er einen Streckenwärter der Bahn, der als Witwer einsam in einem abgelegenen Häuschen wohnt. Gerade ist ihm sein Hund verstorben, und so macht er sich auf den Weg in die Stadt, um einen neuen Welpen zu besorgen.

Heimkommen wird er statt dessen mit Beverly Michaels, deren Einführung in die Geschichte einem nahezu den Atem verschlägt: In Untersicht aufgenommen, scheinen ihre Beine bis zum Hals zu reichen, demonstrativ kaugummikauend, sitzt sie auf einem Schaukelpferd und scheint sich an den Meistbietenden versteigern zu wollen.

„That was quite a show“, sagt Haas denn auch, als er sie wenig später kennenlernt – und fällt trotzdem auf sie herein. Auch in „Strange Fascination“, wo er einen berühmten europäischen Pianisten spielt, der in Amerika vor die Hunde geht, wird Haas die Unvereinbarkeit seines Paares in einer Einstellung zeigen: Während er noch am Klavier Etüden spielt und die Konterfeis Bachs und Wagners von der Wand lächeln, tippelt im Vordergrund seine aufregende junge Frau, dargestellt von Cleo Moore, die in sieben Haas-Produktionen die Hauptrolle spielte, in einem unbeschreiblichen Nachthemd auf Zehenspitzen durchs Zimmer – was eine tiefgreifende und unheilvolle Verlagerung seiner Interessen zur Folge hat.

Aber auch die vermeintlichen Opfer erweisen sich meist selbst als Betrüger: So täuscht zum Beispiel der Bahnwärter Taubheit vor, um frühzeitig in den Genuß seiner Pension zu kommen, und der Pianist zerschmettert sich in Erwartung einer großen Versicherungssumme die Hand. Haas' Figuren erweisen sich nur selten als lernfähig: Der Werkstattbesitzer in „Hit and Run“ vermag zwar das Mordkomplott seines Mechanikers und seiner Frau aufzudecken, am Ende aber wartet schon eine Löwenbändigerin vom Zirkus auf ihn, die durchaus noch gefährlicher als seine gerade verhaftete Gattin erscheint.

Große kommerzielle Erfolge konnte Haas mit seinen Filmen ebensowenig erzielen wie Kritikerlob. Zu europäisch müssen den Amerikanern seine Themen vorgekommen sein, zu absurd die Figuren und Situationen. Ironischerweise war die „Karriere“ des Hugo Haas jedoch nur im amerikanischen Produktionssystem denkbar: Die kleineren Studios erhielten für die „B-Pictures“, die im Rahmen der „double bill“-Vorstellungen gezeigt wurden, unabhängig vom Einspielergebnis eine Garantiesumme, die ihnen einen kleinen, aber stets kalkulierbaren Gewinn bot.

Als das amerikanische Studiosystem Ende der fünfziger Jahre zusammenbrach und an B-Pictures kein Bedarf mehr bestand, endete auch Hugo Haas' Karriere. Er kehrte nach Europa zurück und lebte bis zu seinem Tod 1968 in Wien. Es sei sehr schwer, Haas' Filme überhaupt zu sehen, schreiben Bertrand Tavernier und Jean- Pierre Coursodon in ihrem Buch über das amerikanische Kino. Diesem Mißstand hat das Münchner Werkstattkino abgeholfen, das sieben der amerikanischen Regiearbeiten von Haas sowie den Film „Jealousy“ von Gustav Machaty mit Haas als Darsteller in den Verleih genommen hat. Vom 25.1. bis zum 31.1. sind die düsteren Meisterwerke im Checkpoint-Kino zu sehen. Lars Penning

Termine siehe cinemataz. Kino Checkpoint, Leipziger Straße 55, Mitte