: Erneut Freiheitsstrafe für einen Totalverweigerer
■ Gericht akzeptiert Gewissensgründe nicht. Freiheitsstrafe als Generalprävention
Der Totalverweigerer Carsten Dannel ist gestern vor der 61. Strafkammer des Landgerichtes zu drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Als Grund führte die Richterin „Dienstflucht“ nach Paragraph 53 des Zivildienstgesetzes an. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Monate auf Bewährung gefordert, die Verteidigung für Freispruch plädiert. Der 23jährige Berliner war im Mai letzten Jahres in erster Instanz aus dem gleichen Grund mit einer Geldstrafe von 1.800 Mark – 90 Tagessätze zu 20 Mark – bedacht worden.
Dannel hat die letzten sechs Monate seines Zivildienstes nicht mehr abgeleistet. Nachdem er aus einem Urlaub Ende Dezember 1993 nicht mehr zurückgekehrt war, teilte er im Februar 1994 dem Bundesamt für Zivildienst mit, daß es nicht mehr mit ihm rechnen könne. Dannel war klargeworden: Kriegsdienstverweigerer sind in die militärische Planung mit eingebunden. Im Ernstfall müßten sie sich als Minensucher und als Lazarettsanitäter betätigen. Schon jetzt würden Zivildienstleistende in Krankenhäusern mit Kriegsgeschehen konfrontiert: Im Golfkrieg hätten Zivis in Berliner Krankenhäusern amerikanische Soldaten wieder fit für die Front gepflegt, in Bosnien stünde jetzt ähnliches möglicherweise mit deutschen Soldaten an. „Als Pazifist lehne ich aber jeden Kriegsdienst ab, ob unmittelbar oder mittelbar“, sagte der Angeklagte gestern. Als zweites Argument für seine Verweigerungshaltung nannte Dannel die Zweckentfremdung des Zivildienstes. Ursprünglich sei der Dienst als zusätzliches soziales Angebot verstanden worden. Tatsächlich sei es aber so, daß Zivildienstleistende „anderen die Stellen wegnehmen“. So war Dannel unter anderem als Telefonist eingesetzt.
Die Staatsanwältin wollte seiner Argumentation nicht folgen. Sie konnte in seiner Haltung nur „Aversionen gegen politische Entscheidungen“ entdecken. Eine Geldstrafe hielt sie für unzureichend, weil in der Bevölkerung dann der Eindruck entstünde, „sich von seiner Dienstpflicht freikaufen zu können“. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Verweigerungsdelikte in den letzten Jahren sei eine Freiheitsstrafe „als Generalprävention“ geboten.
Dannels Anwalt Wolfgang Kaleck beklagte, daß mit den Verweigerern immer die falschen Leute büßen müßten. „Nicht die Exporteure des Todes aus der Rüstungsindustrie stehen vor Gericht, sondern diejenigen, die sich gegen das Töten aussprechen.“
Die Richterin sagte in ihrem Urteil, daß Dannels Gewissensgründe nicht ausreichten, um den Rechtsbruch zu legitimieren, so wie es bei den Zeugen Jehovas anerkannt sei. Dannel kann somit zum Nachdienen aufgefordert werden. Dann ginge alles von vorn los. „Ich bleibe in jedem Fall bei meiner Haltung“, hatte Dannel schon im Gerichtssaal gesagt. Christoph Oellers
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