Jeden Tag 20 Fehlalarme

■ Nach dem Brand von Lübeck: Wie sicher sind Hamburgs Flüchtlings-Wohnschiffe? Mit dem Feuerwehrmann durch die schwimmenden Asylheime auf der Elbe gingen Silke Mertins und Stefanie Winter

Dicke Eisschollen treiben vor den Fenstern des Wohnschiffs Bibby Altona. Flüchtlinge, die ein Zimmerchen mit Elbblick ergattert haben, sehen Schlepper und Barkassen sich den Weg durch die gefrorenen Wassermassen bahnen. Feuerwehrmann Bernd Eilers hat indes keinen Blick für die idyllisch-nordische Winterlandschaft am Fluß. Sein Interesse gilt Brandschutztüren, Rauchmeldern, Notausgängen und Feuerlöschern.

Für ein Schiff, erklärt er, gelten andere Brandschutzregeln als für ein gewöhnliches Gebäude. Strengere. Allein auf diesem, eines der vier Wohnschiffe in Neumühlen, können 600 Personen eine notdürftige Unterkunft finden. Zur Zeit sind es 471 Frauen und Männer. Und Kinder, die keine Schule besuchen, während sie sich in der „Erstaufnahme“ befinden.

In schmucker Uniform steht Eiler vor dem Schiffsgrundriß und erklärt die Aufteilung. Vier Etagen gestapelter Wohnraum. Decks, Kabinen, Bordkarte: Das Leben auf dem Schiff wird anderen Regeln unterworfen. Auch einen Kapitän gibt es nicht, dafür aber Unterkunftsleiter Dieter Norton. Die Ausgänge – drei Laufstege, die an Land führen –, erklärt Eilers, sind immer auf dem zweiten Deck. Rauchen dürfen die BewohnerInnen nur in ihren Kabinen, hinter blauen Türen, alle paar Meter eine, links und rechts. In den blitzsauberen, schlauchschmalen Gängen würden die Rauchmelder Alarm auslösen. Das Verbot werde meist eingehalten, meint Norton und deutet auf den kiesgrauen Linoleumboden: „Kaum Brandlöcher.“

Auch Hitzemelder in den Kabinen warnen vor Feuer. Aber, beruhigt Bernd Eilers, die Baustoffe – er hat das Schiff selbst abgenommen – sind alle schwer entflammbar. „Elektrisch betriebene Geräte – außer für Körperpflege oder Radios – offenes Feuer, Herdplatten: alles verboten.“ Fahrräder, Mülleimer oder Schuhe in den Gängen abzustellen, ist auch untersagt. Wer auf dem Wasser lebt, muß sich viele Regeln merken. Wer an Bord kommt, erhält entsprechende Info-Zettel, mehrsprachig verfaßt.

Die Leute, wandert der Feuerwehrmann mit dem Finger über den Schiffsplan, können bei Gefahr in zwei Bereiche flüchten: zu einem der Treppenhäuser oder hinter die nächstgelegene Rauchschutztür und von dort aus weiter. „Bei einem Alarm fallen automatisch im ganzen Schiff die Türen zu.“ Er drückt demonstrativ den Alarmknopf ein und die magnetisch befestigten Rauchschutztüren zwischen den drei Abschnitten des Decks schließen sich. „Zugesperrt sind sie nicht. Sie verhindern, daß sich der Rauch ausbreitet.“ Drei Minuten haben die Wachleute dann Zeit, einen Alarm zu überprüfen, „danach kommt automatisch die Feuerwehr.“ Zu Land und zu Wasser.

20 Mal am Tag wird Fehlalarm auf dem Schiff ausgelöst. Gelangweilte Kinder, frustrierte Erwachsene oder eine am falschen Ort angezündete Zigarette halten die Wachleute auf Trab. Täglich kontrollieren sie Fluchtwege, Waschküche, Kindergarten und Schiffskantine. Nachts werden stündlich Kontrollgänge durchgeführt. Einen ernstzunehmenden Alarm habe es bislang nicht gegeben.

Nach 22 Uhr sind die Schiffseingänge geschlossen. Die BewohnerInnen kommen nur mit Bordkarte rein. „Uns wird das immer so ausgelegt, als wollten wir unsere BewohnerInnen überwachen. Doch wir wollen nur einen Zugang von außen kontrollieren“, nimmt der Schiffs-Chef die Schiffsordnung in Schutz. Feuerwehrmann Eilers ist mit dem Brandschutzzustand der Bibby Altona überaus zufrieden: „Das ist ganz wunderbar“, läßt sich der Norddeutsche zur Überschwenglichkeit hinreißen. „Optimal.“ Bei seinen regelmäßigen Kontrollen habe er meistens nur vollgestellte Fluchtflure zu bemängeln.

Beim Rundgang durch die schmucklosen Gänge zeigt er die Rauchmelder, die Hinweisschilder für die Ausgänge, die Treppenhäuser, Feuerlöscher. Die Kästen mit den Löschschläuchen sind natürlich rot. „Die Schläuche werden einmal im Monat nachgemessen.“ Falls sich jemand ein Stück Schlauch geborgt haben sollte.

Zum offenen Feuer komme es ohnhin nicht sofort, wenn ein Brand entsteht, sagt der Feuer-Fachmann. „Nicht immer gleich von einem Vollbrand ausgehen“, belehrt er. So ein Brand entwickele sich langsam. Erst schwele es, und bevor es überhaupt richtig brennt, seien die Löschzüge und Wachleute längst da.

Außer, wenn „äußere Einflüsse“ hinzukommen. Verschüttetes Benzin, zum Beispiel, das entzündet wird.