: Zwischen Cop und Undercover-Agent
■ Ein Dutzend Zivilfahnder der „Operativen Gruppe SO 36“ nahmen in zwei Jahren mehr als 2.000 Personen in Kreuzberg fest. Doch Polizei und Szene kommen wie Ebbe und Flut
„Für die einen sind wir Steigbügelhalter des Etablishments“, sagt der Chef der Polizei Kreuzberg 36, Joachim Krobok, „für die anderen einfach Bullen wie alle anderen auch“. Eine ernüchternde Beschreibung: Die „Operative Gruppe SO 36“ („OG SO 36“), die vor wenigen Tagen zweijähriges Bestehen feierte, hat sich einen umstrittenen Namen gemacht. Fakt ist: Die gut ein Dutzend Zivilfahnder sind effektiv, zumindest, was die Statistik angeht. Ende letzten Jahres präsentierte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky stolz die zweitausendste Festnahme seiner Truppe, die im wesentlichen den Bereich rund ums Kottbusser Tor sauber halten soll, oder, wie es im offiziellen Statement von Krobok heißt: „Die öffentliche Sicherheit gewährleisten, das strafbare Umfeld der Betäubungsmittel- Szene ausdünnen.“ Fakt ist allerdings auch: Beliebt gemacht haben sich die Schutzmänner nur bei einem Teil der KreuzbergerInnen.
Die Polizeitaktik ist unschwer zu erkennen: Zivil die Szene beobachten, Drogendeals unterbinden, Dealer festnehmen. All das, was gemeinhin dem Streifenwagen- Schutzpolizisten nicht gelingt. „Unsere Leute haben dabei ganz spezielle Fähigkeiten entwickelt“, sagt Krobok. Was das ist, verrät er nur ansatzweise: „Unsere Männer werden regelmäßig geschult, zum Beispiel über neue Drogen und über die Wege, sie zu transportieren.“ Die Arbeit der Zivilfahnder – eine Mischung aus Streifenpolizist und Undercover-Agent. Dabei gleicht die Situation am „Kotti“ gleichermaßen eingefahrenen Ritualen: Fast schon so regelmäßig wie Ebbe und Flut ist das Kommen und Gehen von Polizei und Szene.
„Das ist ein Katz-und-Maus- Spiel“, sagt Astrid Leicht, die zweimal in der Woche mit dem Fixmobil des Vereins „Fixpunkt“ am Kotti steht. „Die verhaften ein paar kleine Fische, erteilen Platzverweise, fahren Leute einfach woanders hin. Damit bringt die Polizei Hektik und Aggression in die Szene.“ Astrid Leicht nennt die Platzverweise für Junkies „menschenunwürdig“. Joachim Krobok und seine Leute dagegen bestehen darauf, daß sie sich nur „an die Buchstaben des Gesetzes“ halten. „Wir wollen ja eigentlich nur den Handel unterbinden, aber das Strafgesetzbuch zwingt uns dazu, auch kleine Konsumenten festzustellen“, so Krobok.
Dabei ist die Spezialtruppe einem Polizeikonzept entsprungen, das seit einigen Jahren angewendet wird: Kleine, der Szene angepaßte Gruppen, die in besonderen „Problembereichen“ operieren. Den Anfang machte die „OG City- West“, die seit 1993 rund um den Kurfürstendamm für Recht und Ordnung sorgen soll. Daneben existieren noch die „OG Potsdamer Straße“ und die „OG Alexanderplatz“ – Bereiche, in denen herkömmliche Strategien aus Polizeisicht nicht effektiv genug waren. Offiziell sind es 14 Beamte, die im Problembezirk Kreuzberg unterwegs sind. Ihr Einsatzgebiet ist der gesamte Abschnitt 53, der kurz hinter der Baustelle am Postdamer Platz beginnt und an der Bezirksgrenze zu Treptow endet.
Weniger bekannt als das Gebiet rund um das Kottbusser Tor mit seiner Drogenszene sind die weiteren Aktivitäten der Sondereinheit. Sie durchleuchtet auch die ausländische Jugendszene und behält schon mal die Aktivitäten politischer Gruppen im Auge – Einsatzgebiete, über die Krobok ungerne redet. Das zivile Auftreten ermöglicht es, in Bereichen zu agieren, wo die Beamten normalerweise keine Chance hätten.
Oscar Albrecht, Anwohner in der Skalitzer Straße, kennt die Cops schon: „Bei uns im Haus stehen sie gelegentlich im Flur und gucken mit Ferngläsern raus.“ Albrecht erfreut das nicht besonders: „Das Verfallsdatum der Joghurts im Plus-Markt ist regelmäßig abgelaufen, in Steglitz gibt's immer frische. Da sollte man lieber was dagegen tun, anstatt noch mehr Polizei herzuholen.“
Auch bei Obi am Kotti sind die Fahnder regelmäßige Kunden. „Von unserer Terrasse haben die den besten Blick“, erzählt ein Wachschützer des Baumarktes. Bei Demonstrationen oder im Vorfeld von Verhaftungen bietet sich das besonders an.
„Das ist mehr der Placebo-Effekt der Politiker für die Öffentlichkeit“, kritisiert Otto Diederichs, Polizeiexperte vom „Institut für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit“. „Die Erkenntnis ist nicht gerade neu, daß der Drogenhandel auf der Straße nicht mit solchen Mitteln einzudämmen ist.“ Zumindest Joachim Krobok und auch der Polizeipräsident sehen dagegen in der Statistik ein Beleg für den Erfolg der „Operativen Gruppen“: „Wir haben ein hohes Maß an Normalität am Kottbusser Tor hergestellt“, bilanziert Joachim Krobok. Barbara Junge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen