Die Aufknuspertaste!

Ein Hieb auf die Taste, und viskose Serien verwandeln sich in vielschichtige Sozialbetrachtungen? Eine Tele-Vision  ■ Von Benjamin von Stuckrad-Barre

Neulich sah ich einen spannenden Thriller. So so, wird der Leser nun denken, na so was. Er sei aber beruhigt – noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Anlaß zu Luft- und Gedankensprühungen war ein in werbender Absicht erstellter Kurzfilm über leckeres Frühstück unter Zuhilfenahme einer juvenil schimmernden, weißen Brotsonnenbank, der meinen hyperaktiven Wortschatz um das Wort „Aufknuspertaste“ bereicherte. Immer wenn ein zum Verzehr bestimmtes Gebäckscheibchen leidenschaftslos, zwar schon getoastet, aber eben nicht mehr „kross“, auf die Butter wartet, kann nunmehr zähem Gemalme vorgebeugt werden. Die Aufknuspertaste tut, wie ihr und wie sie geheißen.

Derartiger Pragmatismus ist so selten wie erfreulich. Seitdem wünsche ich mir und „meinem Panasonic“ TV-Endgerät auch so eine Aufknuspertaste. Wie schön das wäre: Ist das Programm fad – Hieb auf die Taste, und sofort verwandeln sich viskose Serien in vielschichtige Sozialbetrachtungen; Grobschlächtige Frauenfilme machen Platz für behutsame Milieuschilderungen, und wimmernde Gameshows mutieren zu experimentellen Tierfilmen. In der Tat: Schön wäre das.

Keinesfalls möchte ich mich beschweren über das Fernsehen, die Werbung, das alles. Keine Klagen also, obschon: Wenn schon das Fernsehprogramm mir erfüllte Stunden schenkt, dann zumeist durch Sendungen, die komisch sind, weil sie es gar nicht sein sollen. Und interessant sind sie, weil man fortwährend grübelt, warum all das wirklich gesendet wird. Und auch noch angesehen.

Am vergangenen Montag schritt ich zur Tat, ins Wohnzimmer, wollte vorsätzlich fernsehen. Doch die zur Diskussion ausersonnenen Themenkomplexe waren leermundige Appetitzügler: „Bonus für Drogen-Promis? Der Fall Konstantin Wecker“ in der ARD, ein Interview mit „der Therapeutin des Heidemörders“ auf RTL, „Wie sicher ist Homebanking?“ auf Sat.1. Immer dieselben Probleme, nie Lösungen, nur ein besorgter Ulrich Meyer mit kritischen Lachfältchen.

Und als ich derart angestachelt vom öden Ist-Zustand meine Aufknuspertasteninvasionsvision „ins Reine dachte“, da kam ein geschätzter Mitmensch durch die Tür. Ihm erzählte ich von meinen TV-Toast-Plänen, und er zog nachsichtig lächelnd eine Videokassette aus dem Mantel und hauchte: „Alles schon im Strumpf, mein Bester!“ Und wahrlich: Das ZDF, das zu Recht nur zweite deutsche Fernsehen, war mir zuvorgekommen, hatte „Hoch die Tasten“ gerufen und einen ersten Probelauf initiiert. Protagonist: Roger Willemsen, seine Gäste in dieser Reihenfolge: Konstantin Wecker, Heike Makatsch, Til Schweiger und Detlev Buck. Die reine Knusperphalanx.

Wecker wurde mit warmem Applaus bedacht, so als wär's sein letzter. Willemsen begrüßte ihn freudig: „Als du aus dem Knast kamst, sahst du aus wie eine alte Indianerin. Darf ich das sagen?“ Er durfte. Wecker – konturenlos im Sessel hingegossen und wie stets viehisch schwitzend – wiegte sich bedächtig hin und her und fühlte sich verstanden: „Ich muß weg von dem Scheiß.“ Und in dieser Sendung, da könne man ausreden und würde auch ernst genommen. Wenn der wüßte...

Mit zunehmender Gesprächsdauer stiegen seine Transpirationssturzbäche dann ins niagaraartige, Willemsen reichte diskret ein Tuch und tupfte sich, als er das kichernde Publikum bemerkt hatte, kollegial nach Wiedernahme des nun triefenden Lappens selbst unter der Brille herum. Endlich schwitzte auch er. Nun war Heike Makatsch an der Reihe, und ihr erster (und einzig bedeutsamer) Satz war: „Nun weiß ich auch, warum der Konstantin eben so geschwitzt hat: Das ist ja superwarm hier.“ Da mußten alle herzlich lachen, und Konstantin, der inzwischen im Publikum Platz genommen hatte, dienerte und schwitzte weiter.

Als nächstes durfte Til Schweiger zeigen, wie erbärmlich es um die derzeitige Speerspitze deutscher Schauspielkunst bestellt ist; doch amüsant auch seine erste Einlassung: „Ich wollte noch mal sagen, wie toll ich das eben fand, daß der Konstantin so offen war.“ – „Ja“, sprach Roger Willemsen, „das fand ich auch ganz toll.“ Wecker, inzwischen leicht getrocknet vom sanften Wind des Beifalls, winkte und sah auch sonst aus wie Franz-Josef Strauß. Darauf quälte Detlev Buck sich auf die Bühne und Wecker fast zu Tode. Von einem Regisseur mit Gefängniserfahrung berichtend, schwenkte er hinterlistig ins Publikum: „Wie lange hast du jetzt gesessen, Konstantin?“ Und so haben sie ihn alle an der Nase herum- und vorgeführt. Wecker merkt nichts mehr...

Klar ist, daß das Aufknusper-TV den Markt erobern wird. Und das Rösten nimmt zu: Letzten Dienstag brutzelte nächtens Alfred Biolek, der Meisterkoch, krosse Talk-Scheibchen – vom Gernseh-Tröster zum Fernseh- Röster. Viel gab es da gar nicht aufzuknuspern, so perfekt eingeröstet ist der Bio. Sein mäanderndes „Ahmaaahdsibtjahahm“, das er jedem freundlichen Interviewvorstoß voranstellt, baut Spannung auf und begegnet gleichzeitig der Angst des Gastes da, wo sie entsteht: im Inneren des Körpers. Er kann sich immer alles „sehr gut vorstellen“ und mit einem eleganten „hmjajajajaja, na ja sicher“ den Gast in leut- und redseliges Fahrwasser hieven. So wird nie jemand böse, und trotzdem „kommt was rüber“, knuspert's.

Homo Homini Homiletik – jeder so, wie er und was er mag. Der etwas ungehobelte Berliner Specknacken vom „Schlüsseldienst“ wurde mit Verständnis eingezäunt und durfte detailbesessen ausführen, wie seine Kunden sich „mit Vorhängeschloß am Hodensack an die Heizung in der Küche“ ketten. Das Publikum lachte toll tolerant, und Bio scherzte, daß seiner Küchenhilfe derartiges nicht widerfahre, aber da könne man mal sehen. Und wenn es mal zu peinlich wurde, unterbrach er behutsam, wieherte wie ein Kind, das „besoffen“ spielt, und befand, daß man „viel erfahren und viele Vorurteile abgebaut“ habe und die nächste Sendung „sicherlich auf eine ganz andere Weise auch sehr spannend wird“.

Und so wird es kommen. Denn:

Gern Telekratie

Jedoch: gewußt wie

Wer rastet, der rostet

Wer röstet, was kostet

Die Welt? Und, ach, haste

Die Aufknuspertaste?