Natur im Angebot

■ Ärzte wollen ihren Patienten zunehmend auch was "Komplementärmedizinisches" bieten. Fortbildungen boomen

Fast zwei Drittel der Ärzte und Ärztinnen befürworten grundsätzlich die Anwendung alternativer Heilmethoden. Die Hälfte der Befürworter hat mit zumindest einer dieser Methoden bei Patienten eigene Erfahrungen gemacht. Und fast drei Viertel der Patienten finden alternative Heilmethoden „gut“ oder „sehr gut“.

Keine Frage, Naturheilverfahren liegen im Trend. Die Ergebnisse einer neuen Studie der Universität Marburg lassen daran keinen Zweifel. Die Marburger Studie gibt auch Auskunft darüber, wie die Schulmediziner ihre Kenntnisse über alternative Heilmethoden erworben haben: Drei Viertel verdanken ihr Wissen dem Selbststudium, rund 60 Prozent haben Seminare besucht und nur 16 Prozent haben entsprechende Zusatzausbildungen absolviert. Das verwundert nicht, wenn man weiß, wie zeitaufwendig es ist, sich die Berechtigung für den Zusatz „Naturheilverfahren“ auf dem Praxis- Schild zu erwerben. Zahlreiche Landesärztekammern bieten inzwischen Fort- und Weiterbildungen für Ärzte auf diesem Gebeit an. Die Berliner Ärztekammer beispielsweise verlangt sechs Monate klinische Tätigkeit und den Besuch von vier Fortbildungskursen. Schließlich folgt eine dreimonatige Hospitanz bei einem Arzt mit Weiterbildungsbefugnis. Ein Programm, das ein niedergelassener Arzt kaum absolvieren kann.

Gerade in Berlin ist Naturheilkunde sehr gefragt. Seit 1992 veranstaltet die Fortbildungsorganisation „Medizin und Technik im Austausch Ost/West“ (MUT), eine Tochtergesellschaft der Berliner Ärztekammer, die „Naturheiltage“ in Berlin. Der Fortbildungskongreß findet jeweils im Frühjahr und Herbst statt. Die Teilnehmer dieses Frühjahrskongresses erwarten Vortragsthemen wie: Mistel-, Yoga-, Eigenbluttherapie und die medizinisch relevanten Wirkungen der Sauna. Die Fortbildung selbst besteht aus 60 Prozent Vorlesungen und 40 Prozent Praktika und Kleingruppenarbeit. „Das Interesse an Naturheilverfahren ist bei den Ärzten zwar gestiegen“, sagt Marianne Masche von MUT, „die Besuchszahlen des Kongresses jedoch sind konstant geblieben.“

Neben dem Fortbildungsangebot der Kammern gibt es noch eine Reihe anderer Fortbildungen von kommerziellen Anbietern. Die prestigeträchtige Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“ kann man auf diese Art zwar nicht erwerben. Aber fast jeder Arzt möchte einfach auf Nachfrage seinen Patienten auch etwas „Komplementärmedizinisches“ – sprich: Alternativen zur Schulmedizin – anbieten können. „Die Patienten“, sagt Rolf Kühne, Beauftragter für Naturheilverfahren der Ärztekammer, „haben mit den Füßen abgestimmt.“ Dabei geht es nicht unbedingt um einen esoterischen Touch der Komplementärmedizin. Mit einer Bewertung alternativer Behandlungsmethoden, Diagnoseverfahren und Arzneimittel befaßt sich ein neues Buch: „Bittere Naturmedizin“. Das ×uvre von mehr als 900 Seiten macht vor allem eines deutlich: Es gibt nur wenige gesicherte Untersuchungsergebnisse. Viele Diagnoseverfahren widersprechen allerdings den Erkenntnissen der Anatomie, wie beispielsweise die Iris-, Zungen und die Pendeldiagnostik. Die „klassischen Naturheilverfahren“ hingegen sind inzwischen schulmedizinisch weitgehend anerkannt. Beispielsweise die Ernährungs- und Ordnungstherapie, Massage und Phytotherapie, Hydro- und Thermotherapie, also die Behandlung mit warmen und kalten Bädern, Güssen und Wickeln.

Der Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren Freudenstadt, der Fortbildungskurse und Kongresse anbietet, hat weniger konventionelle Methoden wie Akupuntur in sein Programm aufgenommen. Auch für Homöopathie entwickelt sich zunehmend Interesse. Ebenso wie der Zusatz „Naturheilkunde“ kann der Zusatz „Homöopathie“ durch kontrollierte Fortbildung erworben werden, bei Akupunktur ist das noch nicht möglich. Die Wirkung homöopathischer Mittel ist naturwissenschaftlich nicht bewiesen. Doch es sei das „homöopathische Setting“, das Ambiente, was einen Großteil der Wirkung ausmache, so der Berliner Beauftragte für Naturheilverfahren, Kühne.

Beim „Fachverband deutscher Heilpraktiker in Berlin und Brandenburg“ sieht man das ähnlich: „Die wenigsten Ärzte haben die Möglichkeit, zwei Stunden Anamnese zu machen.“ Das wichtige Gespräch mit dem Patienten über seine Krankheitsgeschichte fällt wesentlich kürzer aus. Das ist freilich nicht zuletzt eine Frage der Abrechnung. Während die Heilpraktiker fast nur Privatpatienten haben, müssen die meisten Ärzte ihre Behandlung mit den Krankenkassen abrechnen. Lange Beratungszeiten werden von den Kassen nicht vergütet.

Und die Kassen sind nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichtes nur dann verpflichtet, die Kosten für unkonventionelle Methoden zu übernehmen oder sich daran zu beteiligen, wenn im Einzelfall keine andere Behandlungsmöglichkeit gegeben ist und ein Therapieerfolg aus naturwissenschaftlicher Sicht zumindest möglich erscheint. Die Anfrage bei der eigenen Krankenkasse, ob sie gegebenenfalls die Kosten übernimmt, sollte immer vor Beginn einer nichtschulmedizinischen Behandlung stattfinden. Ursula Dohme

Buchtips zum Thema:

Krista Federspiel, Vera Herbst: „Die andere Medizin“, Stiftung Warentest, Zenit-Press, Stuttgart 1991, 39,80 DM.

Roland Bettschart, Gert Glaeske et alii: „Bittere Naturmedizin“, Kipenheuer und Witsch, Köln 1995. 49,80 DM.