Organe, rechtlich sauber transplantiert

Im Frühjahr soll das erste deutsche Transplantationsgesetz verabschiedet werden. Noch streiten sich die Parteien über seine Grundlage: Müssen die Spender selbst zustimmen, oder dürfen auch die Angehörigen entscheiden?  ■ Von Kathi Seefeld

2.128 Spendernieren wurden in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr transplantiert. Das waren 156 mehr als 1994. Auch bei Lebern, Herzen und Bauchspeicheldrüsen stieg die Anzahl der Übertragungen im Vergleich zum Vorjahr erstmals wieder an. Für Anna Viek, Sprecherin des Arbeitskreises Organspenden, Anlaß zur Zuversicht: „Man spürt, daß sich die öffentliche Diskussion deutlich versachlicht hat: Zwar gibt es noch längst nicht genug Spenderorgane, doch immerhin geht die Spendenbereitschaft nicht weiter zurück.“ Diese Tendenz könnte sich fortsetzen, wenn es gelingt, die Entnahme und Verpflanzung von Organen auf eine „saubere rechtliche Grundlage zu stellen“, die Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer proklamiert hat. Einer Notwendigkeit, von der seit Ende der 70er Jahre in der Bundesrepublik gesprochen wird, könnte endlich Rechnung getragen werden.

Im Frühjahr soll das erste deutsche Transplantationsgesetz verabschiedet werden. „Nun ist der Zeitpunkt erreicht“, sagt Anna Viek, „um eine gesetzliche Regelung zu schaffen, auf deren Basis die Entscheidung für oder gegen die Organspende getroffen werden kann. Geht es um eine so wichtige Frage wie Organspende und Organtransplantation, will und braucht jeder eine größtmögliche, rechtliche Sicherheit. Das gilt für Spender und Angehörige ebenso wie für Ärzte und Schwestern.“

Doch nach wie vor gibt es zu einzelnen Fragen des ersten bundeseinheitlichen Transplantationsgesetzes in Bonn keine Einigkeit. Ein „Ja“ zum derzeit vorliegenden Entwurf gilt nach Aussagen Seehofers in den eigenen Reihen und beim Koalitionspartner FDP mittlerweile als sicher. Grundsätzliche Bedenken äußern dagegen einige SPD-Abgeordnete. Die Bündnisgrünen lehnen den Entwurf ab, beispielsweise in der Frage, wer eigentlich einer Transplantation zustimmen darf. CDU/CSU und Liberale befürworten hier die „erweiterte Zustimmungslösung“, die der Entwurf vorsieht. Organe dürfen demnach nur explantiert werden, wenn entweder der Verstorbene sein Einverständnis erklärt hat oder seine Angehörigen beziehungsweise Lebenspartner zustimmen. Das heißt: Hat sich der Verstorbene vor seinem Tod weder gegen noch für eine Organspende ausgesprochen, können seine Angehörigen für ihn entscheiden.

Anna Viek vom Arbeitskreis Organspenden hält diese Regelung für sinnvoll: „Die „enge Zustimmungslösung“, die eine Organentnahme nur erlaubt, wenn sich der Verstorbene selbst einverstanden erklärt hat, ist oft nicht praktikabel. Denn viele Menschen, die plötzlich sterben, haben sich mit dieser Frage vor ihrem Tod einfach nicht auseinandergesetzt. Hier können die Angehörigen weiterhelfen. Zumal wir uns kaum leisten können, auf jene Organe einfach zu verzichten.“ Zudem sei es in jedem Falle wichtig, die Angehörigen mit einzubeziehen.

Bündnisgrüne und einzelne SPD-Abgeordnete bevorzugen dagegen ein Zustimmungsmodell, das das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen in den Vordergrund stellt. Bei der „engen Zustimmungslösung“ darf ohne ein eindeutiges Einverständnis zu Lebzeiten kein Organ entnommen werden. Auch die Nichtäußerung gilt als Ablehnung. Nicht mehr zur Debatte steht mittlerweile eine Lösung, wie sie früher in der DDR praktiziert wurde und im Land Rheinland-Pfalz noch im Herbst 1994 von der sozialliberalen Regierung in einem Landesgesetz festgeschrieben werden sollte: die sogenannte Widerspruchsregelung. Demnach solltem jedem Verstorbenen Organe entnommen werden können, der sich zuvor nicht ausdrücklich schriftlich dagegen ausgesprochen hat. Aus Sicht derjenigen, die auf ein Spenderorgan hoffen, mag dies die erfolgversprechendste Lösung sein.

Geschichten aus der Ostberliner Charité, die nach der Wende bekannt wurden, zeigten jedoch deutlich, welches Dilemma mit der Widerspruchsregelung verbunden sein kann: Geht es bei dem Betroffenen noch um einen Patienten oder gleich um einen potentiellen Spender? Eine Fragestellung, die in der Transplantationsmedizin generell eine Rolle spielt. Einziger Maßstab, die „Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Organentnahme“, wie es Gesundheitsminister Seehofer kürzlich in einem Interview nannte, ist der Hirntod. Es habe bislang keinen Fall gegeben, bei dem ein richtig diagnostizierter Hirntod rückgängig gemacht werden konnte. „Hirntod“, so der Minister, „ist gleich Tod.“

Zahlreiche Mediziner und auch Rechtsexperten wie der Münchener Verfassungsrechtler Hans-Ullrich Gallwas, der Gladbecker Chefarzt Linus Geisler oder die Berliner Neurophysiologin Inge Gorynia sind da anderer Meinung. Die „Wissenschaftler für ein verfassungsmäßiges Transplantationsgesetz“ betrachten die Reduktion des menschlichen Lebens auf Leistungen des menschlichen Gehirns als anthropologisch fragwürdig: „Die Beantwortung der Frage, ob die Schmerzreflexe von hirntoten Patienten noch von irgendeiner Form subjektiven Empfindens begleitet werden oder nicht, entzieht sich im letzten dem Zugriff objektiv beschreibender Naturwissenschaften.“ Darüber hinaus gibt es verfassungsrechtliche Vorbehalte. So gehe das Grundgesetz nicht davon aus, „menschliches Leben“ allein auf die geistige Leistungsfähigkeit zu reduzieren. Hirntote Menschen seien somit als lebend zu qualifizieren, die Entnahme lebenswichtiger Organe zu Transplantationszwecken demnach auf Basis einer „engen Zustimmungslösung“ möglich.

Anna Viek vom Arbeitskreis Organspenden hofft, daß die Spendenbereitschaft zunimmt: durch mehr Aufklärung. „Nach wie vor ist das Informationsdefizit in puncto Organspende sehr groß. Wenn nun eine gesetzliche Regelung kommt, und wenn man will, daß sich jeder mit dem Thema auseinandersetzt, dann müßte der Gesetzgeber auch für Aufklärung sorgen. Nur wer gut informiert ist, hat eine ausreichende Basis für seine Entscheidung.“