Chaos an den Krankenhäusern

■ Ein Gespräch mit Frank Ulrich Montgomery, dem Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft „Marburger Bund“

taz: Was ist an den Neubestimmungen zum Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) für die Krankenhäuser so problematisch?

Frank Ulrich Montgomery: Die Änderungen durch das GSG, auf die wir uns drei Jahre lang vorbereitet haben, sind nun durch Gesetze und Verordnungen in den letzten Tagen wieder zur Disposition gestellt worden. Die Anreize, die wir hatten, um wirtschaftlicher zu arbeiten, sollen wieder gestrichen werden. Zugleich wird von uns eine Fortsetzung der Budgetierung verlangt. Man läßt uns bewußt im unklaren. Es herrscht Chaos an den Krankenhäusern, weil wir nicht wissen, wieviel Geld wir 1996 bekommen und worauf wir uns einstellen sollen. Und die Bundesregierung hat nicht mehr den Mut, die von ihr selbst verabschiedeten Gesetze überhaupt wirksam werden zu lassen. Man hat plötzlich Angst vor den Instrumenten, die man als Wirtschaftlichkeitsanreiz einführen wollte.

Welche Instrumente sind das?

Ursprünglich sollten Krankenhäuser untereinander in Wettbewerb treten, das heißt, sowohl Gewinne als auch Verluste machen können. Indem sie zum Beispiel einen Teil ihrer Gewinne wieder investieren oder wenig lukrative Bereiche wieder abstoßen können. Wir hatten uns bereits darauf eingestellt und beispielsweise eine bestimmte Hard- und Software gekauft, um in den Wettbewerb eintreten zu können. Plötzlich soll das alles doch nicht kommen. Die handwerkliche Qualität dieser Politik ist so schlecht, daß kein Mensch weiß, nach welchen Kriterien wir im Jahre 1996 überhaupt unser Geld bekommen.

Welche Folgen hat das?

Die Demotivierung aller am Krankenhaus Beschäftigten ist momentan entsetzlich groß. Wir haben beispielsweise in unserer Abteilung alle Leistungen einer Radiologie mit 27 Ärzten, 55 Medizinisch-Technischen Assistenten, 80.000 Leistungen einzeln analysiert, beschrieben, die Preise berechnet und daraus ein spezifisches Budget gemacht. Und jetzt war diese ganze Arbeit für die Katz. Für grobe Schätzungen hätten auch die alten Daten gereicht. Wenn man jetzt wieder einfach budgetiert und sagt, du kriegst doch nicht das, was du ausgerechnet hast, sondern alle bekommen drei Prozent mehr als im letzten Jahr, wird wieder Wirtschaftlichkeit bestraft und Unwirtschaftlichkeit prämiert. Das ist ein ganz strammer Sparkurs, nur ohne Köpfchen. Der Seehofer muß sich eigentlich schämen, daß er das als kluge Politik verkauft.

Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu dem Umschwung?

Als das GSG gemacht wurde, hat die Politik vergessen, daß sie im Jahre 1989 ein Rentenreformgesetz verabschiedet hatte, das im Jahr 1995 wirksam wurde. Darin ist die Bemessungsgrundlage dessen, was die Arbeitslosenversicherung an die Krankenkasse zahlt, auf 80 Prozent reduziert worden. Dadurch hatte die Krankenversicherung bereits 1995 sechs Milliarden Mark weniger. Das Geld fehlt jetzt.

Die stationären Krankenhauskosten machen 1/3 der Ausgaben im Gesundheitswesen aus. Wie könnte man denn sparen?

Im Vergleich zu den anderen Industriestaaten sind wir damit noch recht bescheiden: Die anderen Staaten geben zwischen 50 und 60 Prozent für die stationäre Behandlung aus. Doch natürlich hat ein Unternehmen, das 70 Milliarden Mark umsetzt, irgendwo Rationalisierungsreserven.

Zum Beispiel?

Eine bessere Verknüpfung zwischen dem stationären und dem ambulanten Sektor würde sicher viel Geld sparen. Wo die Geräte besonders teuer sind, wäre es beispielsweise sinnvoll, wenn man sie gemeinsam mit den ambulant tätigen Ärzten nutzt. So etwas ist in in einem Gesetzentwurf für 1997 zwar vorgesehen, aber längst nicht in einem ausreichenden Maße.

Interview: Anja Dilk