piwik no script img

Ufos um 18 Uhr 15

Mit neuem Album auf Tournee, will David Bowie es noch einmal wissen. Rückblick auf den ersten offiziellen Maskenball der Popgeschichte  ■ Von Frank Sawatzki

„Ich benutze mein Gesicht als Leinwand und versuche, die Wahrheit unserer Zeit darauf zu malen.“ (David Bowie, 1976)

Irgendwann in den Achtzigern, keiner kennt den Zeitunkt genau, muß der Mann, der vom Himmel fiel und die Welt verkaufte, sein Gesicht verloren haben. Etwas Schlimmeres hätte ihm nicht passieren können. David Bowie, das war der erste offizielle Maskenball der Popgeschichte. Er war der bisexuelle Ziggy Stardust, der bleiche „Thin White Duke“, der androgyne Rock 'n' Roll- Dandy, der kühne Architekt einer pompösen Götterdämmerung im Berlin seiner Emigration. Er war alles und doch nichts. Mit zwölf wollte er Englands Elvis werden – welch bescheidener Wunsch! Er wurde ein Jahrhundertstar.

Dann aber gab die Leinwand Bowie mit einem Mal keine neuen Bilder mehr her. Vielleicht begann der Niedergang mit dem Zappelhannes-Bowie von „Let's Dance“ (1983), der kühl kalkulierten Live- Aid-Show 1985. Oder mit dem Werbe-Tycoon Bowie in Julian Temples „Absolute Beginners“ (1986), den Duetten mit Tina und Mick, vielleicht auch mit einem von tausend Fotos des Mannes mit dem Drei-, Fünf-, Was-weiß-ich- wieviel-Tage-Bart, eingehüllt in einen Trenchcoat, darunter der beigefarbene Anzug mit dem Revers zur Zeit. Vielleicht war es der Million-Seller–Bowie im Steuerexil Schweiz, das Luxusgeschöpf mit dem Luxusgeschöpf Iman an seiner Seite. Bowie bewegte Millionen, nicht mehr die Popmusik.

Das Album „Outside“, im Herbst erschienen, ist Teil eines Rettungsversuchs: einer konzertierten Aktion von Bowie, Management und Plattenfirma, ohne chirurgische Eingriffe dem alternden Künstler wieder etwas Gesicht zu verleihen. Bowies Record Company überhäufte die Kritiker mit den Keywords zum Comeback: Beachten Sie, dieses Album ist ein Konzeptalbum, Teil eins einer Trilogie, hier ist Ihr Kunstverstand gefragt. Bitte berücksichtigen Sie auch „Low“, „Heroes“ und „Lodger“. Dazugekoppelt gibt es Bowies Europatournee, die aktuelle konzertante Meßlatte mit vier Terminen in Deutschland: Hamburg vorgestern abend, Dortmund am Sonntag, danach Frankfurt und Berlin.

Live in Wembley

Gut zwei Monate zurück, ein kalter Novemberabend in London. Tourstart für Bowie. Eine City im Nachbeben des samstäglichen Shopping-Zirkus, aus irgendeinem Record Shop geben Drum & Bass den Takt der Stunde. Plötzlich springt die Aufzugtür in der vollkommen überfüllten Underground-Station Covent Garden auf. Ein Menschenkloß aus sangesstarken Fußballfans quetscht sich heraus, die Gesichter siegestrunken, die Mienen freundlich erschöpft, ein Lied donnert über drei Dutzend Lippen: David Bowies „Under Pressure“. Sechs Underground-Stationen und etliche Kilometer von Covent Garden entfernt, im Norden Londons, eilen die letzten zum Bowie-Konzert.

Eine von vier Auftaktshows für die Europatournee. Die 12.000 in der Wembley-Arena harren der Erscheinung des Herrn, der die Musikgeschichte mit göttlichen Verkleidungskomödien segnete, so nebenbei den Videoclip miterfand und in den Produktionspausen noch genügend Sex-„Skandale“ auf Lager hatte, um die Medien auf Trab zu halten. Der die Pop- und Rockwellen der Siebziger mühelos antizipierte und die Musikwelt auf einen interplanetarischen Trip schickte. „Ladies und Gentlemen“, verkündete der Hallensprecher, „bitte nehmen Sie Platz, in zehn Minuten betritt David Bowie die Bühne.“ Ein vollmundiges „Good evening, London“ aus dem kargen Rotlichtszenario der Bühne – La Bowie eröffnet den Abend.

Ganz klar: Der Mann hat es in den Hüften. Im Ernst, Bowie ist heute vor allem noch ein Zucken in der Hüfte, begleitet von einem flüchtigen Blick, einer noch flüchtigeren Geste mit der Hand, aus der die Heerscharen ihre nicht kleinzukriegenden Rock 'n' Roll-Träume reokkupieren. Eine Stunde 50 Minuten düstern donnernder, bleischwerer Breitwandrock mit Ambient- und Funkausflügen quer durch „Outside“ – das geht schon in Ordnung. Flankiert von zu wenigen richtigen Hits allerdings, um die Fans vorzeitig zu Weihnachten zu bescheren („Scary Monsters“, „Under Pressure“). Dazu wahrhaft seltsame Versionen zweier Kultsongs: Die Folk-Ode an „Andy Warhol“ (musikalischer Gruß vom 71er Meilenstein „Hunky Dory“) interpretierten Bowie, Bassistin Gail Ann Dorsey, Keyboarder Mike Garson (leibhaftiger Gruß aus der „Aladdin Sane“-Periode) und Restmannschaft als flackerndes Rockspektakel. Das durch Nirvanas Akustikversion nachträglich zur Grunge- Hmyne dekorierte „The Man Who Sold The World“ vom lange unterschätzten 71er Bowie-Album gleichen Titels schickte die Band dann in die Disko-Umlaufbahn. Prätentiös bestimmt, vielleicht sogar pomadig, aber ein Routineprogramm darf man dem Mann 1996 nicht nachsagen.

Bowie, vor ein paar Tagen 49 geworden, wahrt sorgsam Distanz zu den Kollegen Forty- und Fifty- somethings. Dem Greatest-Hits- Postulat des ehernen Altrockers verweigert er sich genauso stringent wie dem freundlichen Bühnentalk, den aufputschenden Anfeuerungen all der Rods, Eltons und Tinas der Popszene.

Bowie hat das Anderssein ja auch in 30 Bühnenjahren geübt: Vom britischen Revuesänger Anthony Newley, den er sehr früh sehr verehrte, übernahm er den theatralischen Cockney-Akzent, vom Pantomimen und Tänzer Lindsay Kemp, mit dem er sehr bald eine Liaison hatte, lernte Bowie etwas für den kommenden Star sehr Wertvolles und in der Popszene der späten Sechziger in der Zuspitzung Neues: Inszeniere dich als Theater, sprich mit deinem Körper, entdecke die Stimme deines Gesichts! Und dieses Gesicht war die Oberfläche, auf die Bowie in den kommenden Jahren die Phantasien spiegelte, die er seinem Volk mitzuteilen gedachte. Ein Erlösertyp aus einem modernen Science-fiction-Märchen, ein anziehend effeminierter Knabe auf Plateauschuhen, mindestens drei Inches hoch, ein kalkiger Camp- (beziehungsweise Kemp-)Pierrot, ein androgyner Verführer mit blaurotem Blitz über Auge und Wange, der sich mit seinen Visionen und Leiden der Welt preisgibt, der Robo-Bowie vom „Heroes“- Cover. Die Geste dominierte den Künstler Bowie, frei von jeder Erklärung ihrer selbst – im besten Fall eine epochale Momentaufnahme.

Als Roland Barthes 1957 in seinen „Mythen des Alltags“ das Gesicht der Garbo als „fast entsexualisiert“ mit „zwei ein wenig zitternden Verletzungen“ – den Augen – beschrieb, war Bowie, bürgerlich David Robert Jones, gerade mal zehn Jahre alt. 17 Jahre später stand er im Mittelpunkt einer Vermarktungskampagne, die ihn als „Greta Garbo des Rock 'n' Roll“ verkaufte. Das war aufgebläht, aber nicht falsch. Barthes' Worte lassen sich auf das Gesicht des David Bowie in diesen Ruhmesjahren legen: die totale Maske, die überhöhung menschlicher Züge in der Modellierung, nur durchbrochen von den seltsam stolzen, seltsam starren, seltsam leidenden Augen.

Und das Gesicht von David Bowie 1996? Wir sehen: das Antlitz eines der allerletzten Helden der Gattung „Pop Art“, die Kopie einer Kopie einer Kopie. Nur ein paar Bartstoppel ragen aus der Oberfläche, die seltsam flach geworden ist. Bleiben die Augen: das eine graublau, das andere bräunlich, mit erweiterter Pupille – im Alter von 16 bei einer Schlägerei fast verloren.

Bowie ist älter geworden – ein Prozeß, dem der gemeine Rockstar ab 40 mit den handelsüblichen Maßnahmen Im Bereich Gesicht, Bauch, Gitarren- und Drumsound begegnet – bei anhaltender Fokussierung auf die charismatischen Momente sorgt das für bleibenden Ruhm (Rolling Stones, Tina Turner). Anders die erhabenen Außenseiterstars, die das Altern zu ihrem Sujet machen oder genügend diskursreife Eigenheiten produzieren, um ihren Hip-Status nie ganz zu verlieren (Neil Young, Lou Reed, Iggy Pop).

Und es gibt einen David Bowie, für den all das nicht gilt. Er ist der aufgeräumte Tele-Talker auf allen Kanälen geworden: clean, klar, konzentriert und glücklich verheiratet. Locker plaudert er heute über das, was ihm im Rückblik als purer „Größenwahn“ erscheint, etwa die US-Tour zum „Diamond Dogs“-Album 1974. Biograph Tremlett zufolge „hielt Bowie sich für den neuen Messias, bewahrte seinen Urin in Flaschen im Kühlschrank auf, um ihn für okkulte Rituale zu verwenden“, und behauptete, jeden Abend um 18.15 Uhr Ufos zu sehen. John Lennon sagte damals über Bowie: „Man weiß nie, mit wem man gerade spricht.“ Mit seinen Musikern und Mitarbeitern sprach er jedenfalls nicht. Er feuerte sie allenfalls.

School's out forever

Ein wenig verzweifelt wirkt es schon, wenn Bowie heute mit Mystik und Rhetorik, Spiritualität und Ästhetik der Neunziger liebäugelt. Für seine letzten beiden Videos engagierte er Regisseur Sam Beyer, der schon Nirvanas Hymne „Smells Like Teen Spirit“ zur Clipbotschaft für eine ganze Generation machte. Vom angesagten Damien Hirst und dessen Kadaverästhetik borgt er sich auch ein paar Bilder. Den Journalisten diktiert er enthusiastische Credits an seine britischen Landsleute PJ Harvey und Tricky, wo ein Mick Jagger nur platt feststellt: „Die meisten der Bands von heute sind mir zu depressiv.“ Und als wäre das nicht genug, schlägt Bowie mit „Outside“ auch noch den Salto rückwärts in die „Heldenjahre“ an der Seite von Brian Eno, deren musikalische Schockwirkungen in der Nachschau von reichlich Kolossalkitsch überlagert sind.

Doch das Beste aus beiden Welten ist nicht zu haben: Nichts ist langweiliger als ein Künstler, der zur „inneren Ruhe“ gefunden hat und nun das ehrenwerte Feuilleton mit hochfrisierten Konzeptionalien in seinen Bann zieht. Als großer Popkünstler hat David Bowie sich erledigt.

Geblieben ist ein großer Musiker – kein Gegenstand der Verehrung mehr, aber des Respekts. Für den Rolling Stone ist „Outside“ „postmodernistische Kryptik“, für Ian Penman (im britischen Bowie- Tour-Booklet) „ein lebhaftes Echo des wollüstigen Modernisten und Gestaltwechslers aus unseren „70er-Jahre-Träumen nach Schulschluß“. So soll es sein.

30.1. Dortmund; 31.1. Frankfurt; 1.2. Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen