„Ich wähle die PDS“

Sechs Menschen aus West- und Ostdeutschland sagen, warum  ■ Von Thorsten Schmitz

Zwei Millionen Menschen wählen die PDS, etwa 120.000 sind Mitglied in der Partei des demokratischen Sozialismus. Längst finden sich unter den PDS-WählerInnen nicht nur arbeitslose SED-FunktionärInnen und die, die sowieso immer dagegen sind – ein Bild, das die Altparteien noch gelegentlich bemühen, wenn sie es sich einfach machen wollen.

Auffallend viele jüngere und recht gutverdienende Leute, Ost- wie Westdeutsche, wählen inzwischen die SED-Nachfolgepartei. Sie tun es, weil ihnen die Grünen auf die Nerven gehen, weil sie glauben, daß auch die Alternativen von einst nur noch an die Macht wollen und viele ihrer Prinzipien auf dem Weg dorthin verraten haben. Sie wählen PDS, weil sie die Ostpartei im wiedervereinigten Land für die einzige Oppositionspartei halten. Und sie wählen PDS, weil sie einen Fischer oder Lafontaine genausowenig ertragen können wie Kohl und ihren Gysi allemal „witziger“ finden. Einige von ihnen kommen hier zu Wort.

Auf dem Bundesparteitag der PDS an diesem Wochenende in Magdeburg wird hinter den Kulissen auch diskutiert, zu was für einer Partei sich die PDS entwickeln soll, die bisher vor allem das Image der Ost- und Oppositionspartei pflegt. Auf kommunaler Ebene regiert die PDS längst mit, in Mecklenburg würde sie gerne, in Sachsen-Anhalt toleriert sie eine rot- grüne Regierung. Strategen wie Gysi, Brie und zuletzt der Vorsitzende in Sachsen-Anhalt, Claus, sind schon einen Schritt weiter und haben die Frage nach Koalitionen mit Grünen und SPD und damit auch einer möglichen Regierungsbeteiligung aufgeworfen.

Jim Avignon, 29,

Pop-Art-Künstler, Berlin

Irgendwann 1993 hat mich die Inhaltslosigkeit dieser ganzen Partygeneration erschreckt – in diesem Jahr hatte ich am meisten in Clubs zu tun. Ich wollte mehr politisches Engagement zeigen; und so bot ich mich den Grünen für deren Bundestagswahlkampf 1994 an.

Über meine Kunstposter haben sich die Grünen dann gefreut, aber ich habe meine sämtlichen Freunde brüskiert: Ich malte eine mürrisch guckende Blume und darunter den Slogan „Stop Pollution“. Danach machte ich eine Art Tournee mit den Grünen, das war ein großes Desaster! Zum erstenmal hatte ich direkten Kontakt zu Grünen: Es war unfaßbar, wie wenig die von der Welt gecheckt haben! Naiv ist da noch eine wohlwollende Beschreibung. Auf welchem kulturellen Niveau die standen! Die alten Grünen sind so mies, wie man immer von Politikern denkt, daß sie mies sind, und die jungen Grünen hören Musik, die ich nie hören würde, lesen Bücher, die ich nie lesen würde. Das soll nur erklären, warum ich die PDS wähle.

Weil die nämlich die einzige Partei ist, in der ich Parallelen entdecke zu einer Welt, die ich kenne. Die PDS macht Politik nach dem Motto: Ist der Ruf mal ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert. Das ist mir enorm sympathisch. Und sowieso hat man mit Leuten Sympathie, die alle gegen sich haben. Riskant, aber sympathisch ist auch die Mischung der PDS: junge und alte Menschen, SED-Funktionäre und Reformer. Ich weiß nicht, ob ich PDS wählen würde, wenn sie regierende Partei wäre.

Ich wähle sie auch, weil sie eine Ost-Partei ist. Sie ist wie ein Bollwerk gegen die hundertprozentige Übernahme durch alle Ausformungen der westlichen Marktwirtschaft – und ihre Politiker stehen nicht außerhalb einer greifbaren menschlichen Dimension: Sie hungern zum Beispiel, wenn ihnen was nicht paßt.

Sabine H., 24,

Studentin, Hamburg

Ich bin eine Umsteigerin, sozusagen. 1994 habe ich das erste Mal PDS gewählt, bei den Grünen fühlte ich mich nicht mehr gut aufgehoben. Ich fand, daß sie auf radikale Methoden nicht radikal genug geantwortet haben – wobei ich eigentlich für schrittweise Veränderungen bin. Gerade, was die Interessen der Ostdeutschen betrifft, haben die Grünen versagt, sie sind zuwenig gegen Massenarbeitslosigkeit und Betriebsschließungen vorgegangen. Bewußt spreche ich von Ostdeutschen, weil die Spaltung noch kraß vorhanden ist. Ich bin schockiert, wie die Ostdeutschen zu Menschen zweiter Klasse deklassiert wurden. Man kann doch nicht verlangen, daß Menschen, die nur den Sozialismus kennen, sich sofort anpassen an rein kapitalistische Produktions- und Lebensweisen.

Es gibt nicht nur eine Spaltung zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Arm und Reich. Genau das macht sie ja zu ihrem Thema. Das Demokratische bei der PDS ist ihr Aufbau: Beispielsweise dürfen Nichtmitglieder mitstimmen. Die PDS ist eben keine Schmuddelpartei.

Helmut Riedel, 56, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main

Letztens mußte ich einen PDS- Landtagsabgeordneten aus Thüringen verteidigen, einen Totalverweigerer. Der kam mit seinem Anhang, und so erhielt ich einen kleinen positiven Eindruck, welche Rolle diese Partei spielt und welche Basis sie hat.

Man sah junge und alte Leute gemischt, und wie sie sich einsetzen und mitgehen. Allein, daß es die PDS gibt, hat einen guten Einfluß: Die anderen Parteien müssen sich mit ihren Argumenten auseinandersetzen. Aus der PDS wird nie eine sozialistische Kaderpartei, weil sie sich ja mit allem und jedem rechtfertigen muß. Mit Sicherheit sind in ihr Leute, die von so was noch träumen, aber die haben keinen Einfluß auf die Richtschnur der Partei. Ich war noch nie in einer Partei, das übersteigt meine Vorstellungskraft. Wir nannten uns früher „Sozialistisches Anwaltskollektiv“, und Rupert von Plottnitz, einer von uns, ist heute Justizminister in Hessen, aber für mich wäre das nicht denkbar. Rupert hat diesen Weg gewählt, wir haben auch darüber geredet, ob das vertetbar ist, aber ich sehe darin keinen Sinn.

Von den Grünen bin ich enttäuscht, das weiß Rupert auch. Sie sind eine Oberlehrerpartei, die unbedingt an die Macht will. Die wissen alles, und alles besser. Einen Innenminister Joschka Fischer fände ich sehr bedenklich, einen Innenminister Gysi einfach witziger. Daß die PDS so verteufelt wird, kann ich mir nur so erklären: An ihr muß was dran sein, sonst gebe ich mir doch keine Mühe, sie so negativ zu kennzeichnen.

Mona Kino, 29,

Aufnahmeleiterin, Berlin

Hamburg ist die Stadt des Reichtums und der „Rama“-Familien, das sollte es gewesen sein? Nichts wie weg, habe ich mir gedacht, und bin vor vier Jahren nach Berlin gezogen. Ganz bewußt in den Osten. Die Atmosphäre am Prenzlauer Berg fand ich total klasse. Daß ich die PDS wähle, hat auch damit zu tun, daß sie in diesem Stadtteil verwurzelt ist.

Früher habe ich die Grünen gewählt, inzwischen nicht mehr, weil die jetzt genug Prozente kriegen. Die PDS braucht Unterstützung, weil wir einfach eine gute, linke Partei brauchen – die SPD wird sowieso gewählt, die Grünen wachsen stetig, da brauche ich meine Stimme nicht zu verschenken.

Meine Sympathie für die PDS macht sich fest an Personen wie Gysi und Stefan Heym, die sind klug und intelligent.

Die PDS versucht nicht, ein anderes Bild von sich zu zeichnen, sie ist ehrlich im Vergleich zu den anderen Parteien. Daß die PDS so angefeindet wird, ist mir egal. Bei den Grünen war das früher ja dasselbe, denen unterstellte man auch Terrorismus, und ich weiß nicht was.

Und von wegen SED-Nachfolgepartei: Irgendwas mußte ja nach der SED kommen, es haben nun mal 16 Millionen Menschen in der DDR gelebt, die kann man doch nicht einfach in die Mülltonne stecken! Die PDS rennt noch auf die Straße und läßt sich nicht unterkriegen, das finde ich bewundernswert.

Letztens habe ich mich mit einem Taxifahrer eine Stunde gestritten, weil er mir erzählte, er müßte die Republikaner wählen, um die Zustände zu ändern. Er hätte ja nichts gegen Ausländer, er selbst sei schließlich mit einer Thailänderin verheiratet, aber es müsse doch was geändert werden und so weiter. Was für eine aberwitzige Argumentation! Ich konnte einfach nicht aus dem Taxi steigen.

Ich habe ihm dann erzählt, daß ich PDS wähle, woraufhin er über die Linken geschimpft hat. Ich ließ ihn schimpfen und argumentierte gegen die Republikaner. Zum Schluß meinte er, sie haben ja recht.

Er wird trotzdem die Republikaner wählen. Es ist schon verrückt, wie konfus es in den Köpfen vieler Menschen zugeht.

Wolfram Kempe, 35, Autor, Berlin

Als im November 89 alle Welt aus der SED austrat, bin ich ihr Mitglied geworden.

Die SED war ein Teil der DDR, und mit ihr, dachte ich damals, lassen sich sozialistische Verhältnisse auf deutschem Boden errichten. Ich bin dann aber bald wieder ausgetreten, die innere Reformfähigkeit der inzwischen in PDS umbenannten SED war doch beschränkt – und ist es bis heute.

Trotzdem: die PDS besitzt eine soziale Kompetenz wie keine andere Partei, und sie vertritt als einzige die Interessen der Ostdeutschen. Sie kümmert sich um deren Probleme. Außerdem springen die anderen im Dreieck, wenn man die PDS wählt. Warum junge Leute aus dem Westen ihre Stimme der PDS geben, ist mir ein Rätsel. Wir sind doch die weißen Neger des neuen Deutschland, die Westler wissen einfach zuwenig, was die DDR war und ist.

Bewirken tut keine Partei etwas, denn alle in Deutschland sind die Beute geworden von einflußreichen Gruppen. Ich halte die PDS insofern für korrumpierbar, wenn es um Macht geht. Sie ist eine klassische Oppositionspartei. Wenn sie diese Rolle verläßt und sich an Regierungen beteiligt, verbiegt sie sich und wird zur rosa gestrichenen Sozialdemokratie.

Yesim Zolan, 27,

Ausstatterin, Berlin

Im Grunde meines Herzens bin ich Nichtwählerin, trotzdem habe ich immer gewählt. Ich wollte mir den Schuh nicht anziehen lassen, rechts zu wählen, wenn ich nicht wähle. Allerdings habe ich immer zuviel angekreuzt, weil ich in den Prozentsatz der ungültigen Stimmen fallen wollte. Seit es die PDS gibt, wähle ich wieder richtig.

Die Stasi spielt für mich keine Rolle, deshalb fällt es mir natürlich viel leichter, die PDS zu wählen. Ich hatte schon dicke Diskussionen mit Leuten, die im Osten groß geworden sind und es unglaublich finden, daß ich PDS wähle. Komischerweise finden es viele Westler okay, diese Partei zu wählen, die Ostler nicht. Für die besteht die PDS noch aus lauter alten SED- Funktionären.

Gregor Gysi macht als Politiker eine gute Figur, er verkörpert für mich die PDS, und er steht mir am nächsten.

Gysi ist schlagfertig und kann unglaublich gut argumentieren. Und außerdem will ich eine gewisse Art von Opposition, gerade auch im sozialen Bereich. Das sind die Grünen ja schon längst nicht mehr.