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Das Mutterland liebt

■ Chinas Führung stellt „Schattenregierung“ für Hongkong vor

Hongkong (taz) – Chinas Regierung hat gestern formal jenes Vorbereitungskomitee gegründet, das die neue Regierung für Hongkong bilden soll, wenn die britische Kolonie am 1. Juli 1997 in chinesische Hände übergegeht. Staats- und Parteichef Jiang Zemin pries die Gründung des 150köpfigen Komitees als historischen ersten Schritt auf dem Weg zu einer vollständigen Wiedervereinigung Chinas: „Die Rückkehr Hongkongs ist die erste Etappe auf unserem langen Marsch. Danach kommt Macao und schließlich Taiwan. Wenn wir auf dieser ersten Etappe erfolgreich sind, werden wir eine große Zukunft haben.“

Die portugiesische Kolonie Macao soll ab 1999 wieder von China regiert werden. Aus Taiwan gibt es dagegen keinerlei Anzeichen, daß man sich dem chinesischen Vereinigungsdruck beugen will. Die Äußerungen Jiangs fallen in eine Zeit, in der Befürchtungen vor einen bewaffneten Konflikt zwischen der Volksrepunblik China und Taiwan einen neuen Höhepunkt erreicht haben. „Das Wichtigste ist, alle Patrioten in Hongkong zu einen“, sagte Jiang. „Unter der Fahne des liebenden Mutterlandes und des liebenden Hongkong kann das Vorbereitungskomitee alle Kräfte vereinen, die überhaupt vereint werden können.

Das könnte Wunschdenken sein. In Hongkong wird kritisiert, daß in dem von Peking eingesetzten Komitee keine prodemokratischen Politiker vertreten sind – trotz des Erfolges der demokratischen Partei bei den Wahlen in Hongkong im September 1995. In Hongkong wurde gestern bekannt, daß Peking die Mitglieder des Komitees angewiesen hatte, einen Schwur der „Vertraulichkeit und Kollektivität“ zu leisten. Dies bedeutet praktisch, daß die Mitglieder nicht über Angelegenheiten reden dürfen, die im Komitee diskutiert werden, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Und selbst dann müßten sie mit einer Stimme sprechen. Abweichler kämen nicht zu Wort. Raymond Wu, Komiteemitglied und stellvertretender Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Föderation Hongkong: „Der Zweck solcher Regeln besteht nicht wirklich darin, etwas geheimzuhalten. Am Ende muß es ja veröffentlicht werden. Aber wenn etwas veröffentlicht wird, während noch darüber diskutiert wird, dann führt das zu Mißverständnissen.“

In den kommenden Monaten soll das Komitee einen 400köpfigen Ausschuß zusammenstellen, der den Chief Executive genannten Nachfolger von Gouverneur Patten bestimmt. Daß es ein Mann sein wird, steht für viele außer Zweifel. Im Gespräch sind bisher der Großreeder Tung Chee-hwa und der Immobilienmagnat Leung Chun-ying. Nach Ansicht des Chefökonomen der Hongkonger Handelskammer, Ian Perkins, wird die Wahl des Chief Executive mitentscheidend dafür sein, „wie die Leute die wirtschaftliche Zukunft Hongkongs sehen, und ob sie emigrieren oder bleiben, ob sie sich Hongkong gegenüber stärker verpflichtet fühlen, oder ob sie erst einmal abwarten. Dieser Mann wird eine enorme Macht haben, und sei es unter dem Auge Pekings.“

Daß die demokratisch gewählten Abgeordneten ein Wörtchen bei der Wahl mitreden dürfen, ist nicht vorgesehen. Viele Leute in Hongkong hoffen einfach, daß der neue Chief Executive jemand sein wird, der sowohl von der Beamtenschaft als auch der Geschäftswelt akzeptiert wird. Catherine Sampson

Kommentar Seite 10

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