■ Ökolumne
: Metropolitis Von Thomas Worm

Die ökologische Zukunft geht in den Metropolen verloren – oder sie wird dort gewonnen. Das Lebens- und Konsummuster „Stadt“ überwuchert die Erde. Um das Jahr 2000 wird die Hälfte der Menschheit in Städten wohnen, und 30 Jahre später sollen es nach Schätzungen der Vereinten Nationen schon zwei Drittel sein. Dann hat sich binnen weniger Jahrzehnte das Verhältnis von Stadt und Land weltweit umgedreht. Am rasantesten nehmen Landflucht und Verstädterung in den Staaten des Südens zu. So lebten 1970 erst 80 Millionen AfrikanerInnen in urbanen Gebieten. Nur ein paar Jahre noch, dann werden es 400 Millionen sein. Die Einwohnerzahl der Ballungszentren zwischen Lima und Lagos verdoppelt sich alle 15 bis 20 Jahre. Ein unüberschaubares Meer von Lehmbauten und Sperrholzverschlägen, von Wellblechhütten und Plastikplanen. Den meisten dieser Menschen fehlt sauberes Wasser, Strom, Medizin und – ein Zuhause.

Doch längst ist städtische Armut kein Massenphänomen mehr, das sich auf die südlichen Länder beschränkt. New York wird mit seinen Ghettos schon seit geraumer Zeit der „Dritten Welt“ zugerechnet, und inzwischen müssen sich auch auf den Straßen Berlins Zehntausende Obdachlose irgendwie durchschlagen. Währenddessen läßt es sich der Großteil der Gesellschaft recht gutgehen, gerade beim Bauen und Wohnen. Ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland verschlingen allein die Neubauten und ihre angeschlossene Strom- und Wärmeversorgung. Dieser Lebensstil bringt auch den höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf überhaupt hervor und sondert jede Menge Müll, Gift und Schrott ab. Wie die industriellen Metropolen außerhalb ihrer Grenzen Lebensräume zerstören, so wüten sie auch gegen sich selbst: Luftverschmutzung und Lärmbelästigung, Perspektivlosigkeit und latente Gewalt herrschen in einer zunehmend feindlichen Umgebung.

Auch zwischen Peking und Seoul liebäugeln Städteplaner mit dem Modell Babel. Obwohl das „Projekt Urbanität“ mit seinen explodierenden Megastädten bisher nicht einmal die simpelste Grundversorgung zu garantieren vermag: ein Dach über dem Kopf. Gruftmenschen verkriechen sich auf Kairos Friedhöfen, Höhlenmenschen bevölkern südspanische Felslöcher, Tunnelmenschen hausen in New Yorker U-Bahn- Schächten. Eine Milliarde Menschen gelten als SlumbewohnerInnen. Ignorante Parlamente und Bauspekulaten, Arbeitslosigkeit und Unruhen machen immer mehr urbane Zentren unregierbar. Wenn in den kollabierenden Städten, die vom individuellen Überlebenskampf geprägt sind, das gemeinschaftliche Bewußtsein zerfällt, dann zerfällt gleichzeitig das unverzichtbare Kontinuum, in dem Politik – auch Umweltpolitik – überhaupt erst gedeihen kann.

Naht Rettung? Die Bürger der kolumbianischen Stadt Barranquilla haben versucht, den Teufelskreis des Niedergangs zu durchbrechen. Über Jahrzehnte hinweg hatten persönliche Bereicherung und einflußlose Gremien Barranquilla heruntergewirtschaftet. Vor wenigen Jahren bildete sich jedoch die Frente Común, ein Zusammenschluß aus Initiativen, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Unternehmerverbänden. Die Neuwahl von Stadtdirektor und Bürgermeister, bei der unabhängige Kandidaten siegten, ließ die Zuversicht nach Barranquilla zurückkehren. Zahlreiche Privatisierungen und der Neubau von Elektrizitätswerken sowie einer Universitätsstadt setzten den Pulsschlag der Stadt wieder in Gang. Zugleich wurde die Zentralverwaltung entmachtet und Entscheidungen in die Kommunen verlagert. Die Leute fanden wieder Arbeit, ihr Selbstwertgefühl stieg.

In Barranquilla ist ein Aktionsmuster erkennbar, das auch auf der UN-Konferenz Habitat II zum menschengerechten Wohnen im nächsten Juni in Istanbul zur Diskussion stehen wird: ein breites Bürgerbündnis herstellen, die Verwaltung dezentralisieren, korrupte und gewinnorientierte Eliten isolieren, Selbstvertrauen schaffen durch Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Weg, bei dem auch für die Biosphäre etwas herauskommen könnte.