: Aussöhnung mit Prag in weiter Ferne
Warum brüskierte Außenminister Klaus Kinkel seinen tschechischen Kollegen? Bonner Oppositionsparteien intervenieren im deutsch-tschechischen Konflikt um eine Verständigung ■ Aus Bonn Hans Monath
Selten haben sich die Bonner Oppositionsparteien als außenpolitische Akteure so gefordert gefühlt: Weil die Bundesregierung mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende aus Rücksicht auf die Hardliner der CSU eine greifbar nahe Verständigung mit dem Nachbarland Tschechien ausschlägt, intervenierten Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) und SPD-Politiker diese Woche mit allen Mitteln der stillen und lauten Diplomatie.
Öffentlich wird seitdem in Bonn gestritten, welche Widerstände vor vierzehn Tagen den tschechischen Außenminister Josef Zieleniec veranlaßten, nach einer Begegnung mit seinem Kollegen Klaus Kinkel verärgert aus Bonn nach Prag zurückzureisen und sich dort laut über die Deutschen zu beschweren. Die vertraulichen Gespräche über eine gemeinsame Erklärung beider Parlamente und Regierungen hatten einen schweren Rückschlag erlitten.
Die offizielle Bonner Version lautet, die Prager Unterhändler seien wegen der wachsenden Widerstände in Tschechien nicht bereit, die Vertreibungen in der gemeinsamen Erklärung direkt anzusprechen und sich von ihnen zu distanzieren.
„Wer dies behauptet, stellt die Sache falsch dar“, attackierte Antje Vollmer diese Woche den Außenminister. Sie hat nach vielen Gesprächen erfahren, daß die Tschechen den Deutschen in den Geheimverhandlungen „erstaunlich“ weit entgegengekommen waren. Der tschechische Botschafter in Bonn, Jiri Gruša, nannte die von den Prager Politikern akzeptierte Formulierung „wirklich umfangreich und revolutionär“.
Von der Bundesregierung erwartet Antje Vollmer, daß sie den Tschechen eine große Furcht nimmt und ausschließt, daß eine Bonner Regierung in Zukunft die ohnehin unrealistischen Eigentumsforderungen der Sudetendeutschen wieder aktualisiert. Statt dessen aber habe der Außenminister unter dem Druck der CSU und der Sudetendeutschen Landsmannschaft noch einmal „draufgesattelt“ und den tschechischen Außenminister brüskiert.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen der stellvertretende SPD- Fraktionsvorsitzende, Günter Verheugen, und sein Bundestagskollege, Gert Weisskirchen, die am Donnerstag in Prag mit Präsident Václav Havel, Außenminister Josef Zieleniec, dem tschechischen Verhandlungsführer Alexander Vondra und der Führung der tschechischen Sozialdemokratie gesprochen hatten.
Die Bündnisgrünen haben für kommende Woche im Bundestag eine aktuelle Stunde beantragt, in der sie die Bundesregierung zu einer klaren Stellungnahme zwingen wollen. Titel: „Schwere Krise des deutsch-tschechischen Verhältnisses.“
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