Einer Rückführung der Vertriebenen in die Republika Srpska und nach Herceg-Bosna stehen noch zahlreiche Hindernisse im Wege. Nur langsam können die Flüchtlinge zurück. Viele werden ihre Heimat nicht wiedersehen Aus Split Erich Rathfelder

Rückkehr der Flüchtlinge

Da steht er, etwas unsicher, verknittert, ausgehungert, die Hosen voller Flecken, die Jacke über dem T-Shirt zerrissen. Hasan F., Vertriebener aus Srebrenica, ist gerade aus dem serbischen Lager Bratunać entlassen und vom Roten Kreuz nach Tuzla, in das von der bosnischen Regierung kontrollierte Gebiet, gebracht worden. Als der frühere Wasserbauingenieur ein Café betritt, um ein Glas Wasser zu erbitten, verstummen die Gespräche. Die Anwesenden weichen vor ihm zurück und starren ihn nur stumm an.

Er wolle kein Aussätziger sein, sagt Hasan später. Ein solches Erlebnis schmerze ihn ebenso wie die Folter, die er in dem Lager hatte ertragen müssen. Die fast drei Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge aus und in Bosnien-Herzegowina (Gesamtbevölkerung vor dem Krieg 4,5 Millionen) haben nicht nur den Schrecken der Vertreibung erlebt, ihr Trauma speist sich auch aus dem Verhalten der Menschen in der neuen Umgebung. „Letztlich“, so sagen viele – ob sie nun Muslime, Kroaten oder Serben sind – reagierten die, denen Haus und Hof, Wohnung und Heimat geblieben sind, mit Abwehr auf die „Hungerleider, die alles verloren haben.“

Deshalb wünschen die meisten Vertriebenen nichts anderes sehnlicher, als wieder zu Hause zu sein. Mag sein, daß jene, die im ferneren Ausland, in der Schweiz, Deutschland oder Österreich Aufnahme oder sogar eine neue Existenz gefunden haben, zögerlicher sind. Und daß die traumatisierten Menschen, die Gefolterten und Vergewaltigten, sich vor der Rückkehr scheuen. Doch im Abkommen von Dayton wurde das Recht aller Vertriebenen bestätigt, zurückzukehren. Doch schon jetzt türmen sich die Hindernisse auf.

Die meisten Flüchtlinge stammen aus Gebieten, in denen weiterhin jene herrschen, die sie vertrieben haben. So ist bei der muslimischen Bevölkerung die Bereitschaft, unter den jetzigen Umständen in die „Republika Srpska“ zurückzukehren, trotz des Wunsches „zu Hause zu sein“, gering geblieben. Auch die kroatische Bevölkerung aus Brcko und dem Posavinagebiet hat Angst, unter die Herrschaft der serbischen Autoritäten der „Republika Srpska“ zu gelangen. Die Vertriebenen wollen Garantien für ihre Sicherheit. Und die kann ihnen nicht einmal die Nato garantieren.

Das Sicherheitsproblem ist ebensowenig in der seit fast zwei Jahren bestehenden bosniakisch- kroatischen Föderation gelöst. Die Spannungen in Mostar zeugen davon. Nicht einmal jetzt kann sich die 1993 vertriebene muslimische Bevölkerung dort Hoffnungen machen, von den kroatisch-bosnischen Behörden der „Republik Herceg-Bosna“ in ihre alten Wohnungen und Häuser zurückgelassen zu werden. Umgekehrt ist es für Kroaten schwierig, in die muslimisch dominierten Gebiete Zentralbosniens zurückzukehren, aus denen sie 1993 vertrieben wurden – rund die Hälfte der ehemals 800.000 bosnischen Kroaten wurden von Serben und Muslimen vertrieben. Zwar wurde in den letzten Wochen ein Anfang gemacht: Einige Dutzend muslimischer Familien durften ins kroatisch dominierte Jajće zurückkehren, 200 kroatische Familien in das von den Muslimen kontrollierte Bugojno. Die örtlichen Behörden bevorzugen bei der Verteilung von Wohnraum in diesen halbzerstörten Städten jedoch nach wie vor die „eigenen Leute“.

Für die serbische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas stellt sich das Problem etwas anders. Von den ehemals 1,3 Millionen Serben Bosnien-Herzegowinas sind nur noch rund 500.000 auf dem serbisch kontrollierten Gebiet geblieben, rund 150.000 leben noch in dem Gebiet, das der bosnisch- kroatischen Föderation zugesprochen ist. Der Rest hat seit 1992 versucht, aus dem serbisch-besetzten Gebiet nach Serbien zu gelangen. Ein Teil davon wiederum ging ins weitere Ausland, nach Australien, Kanada, auch Deutschland. Diese Flüchtlinge könnten sofort zurückkehren, soweit sie aus den Regionen stammen, die in der „Republika Srpska“ liegen. Manche wollen sogar in das bosnische Gebiet. Erst kürzlich berichtete der Bürgermeister von Tuzla, Selim Beslagić, daß über 11.000 jetzt in Belgrad lebende ehemalige serbische Bewohner der Region nach Tuzla zurückkommen wollen. Für die Zehntausende Serben, die im Herbst letzten Jahres in Westbosnien vor den siegreichen gegnerischen Truppen der Kroaten und der bosnischen Armee nach Banja Luka flohen, wird jedoch nur ein Teil wieder die angestammte Heimat wiedersehen, den nämlich, der nach dem Abkommen von Don an die Serbische Republik fällt. In das kroatisch besetzte Gebiet Westbosniens zu gehen, ohne daß es Sicherheitsgarantien gibt, zögern sie dagegen.

Die Politik der ethnischen Trennung, ist – wenn man so will – „erfolgreich“ gewesen. Die Nationalisten wollten die multikulturelle Gesellschaft zerschlagen und möglichst viel Territorium für sich gewinnen. Sie behaupteten, ein Zusammenleben unterschiedlicher Nationen in einem Staat sei nicht möglich. Sogar Mischehen – immerhin lebt ein Drittel der Bevölkerung in Mischehen – werden von den Nationalisten scheel angesehen. Die Vertriebenen in ihre angestammte Heimat zurückzubringen – wie in Dayton versprochen –, rührt an die Machtbasis der nationalistischen Eliten. So versucht die serbische Führung der „Republika Srpska“ und auch die Führung des kroatisch dominierten Teilstaats „Herceg-Bosna“, die Rückführung von Vertriebenen zu verzögern. Die serbische Führung in Pale will sogar, daß die serbische Bevölkerung um Sarajevo wegzieht, weil dieses Gebiet den bosnischen Behörden unterstellt wird. Es soll verhindert werden, daß Serben wieder mit anderen Volksgruppen zusammenleben.

Lediglich die muslimisch dominierte Regierung in Sarajevo hat zumindest nach außen hin lange Zeit die multikulturelle und multiethnische Identität der bosnischen Gesellschaft verteidigt. Sie fordert energisch die Rückkehr der Vertriebenen. Das hat auch damit zu tun, daß die meisten der Vertriebenen in Bosnien Muslime sind. Obwohl in dem von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebiet fast eine Million Vertriebene zu versorgen sind, fordert sie von den Regierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die dort aufgenommenen Flüchtlinge bald zurückzuschicken. Die Rückkehrer sollen helfen, das Land wieder aufzubauen. In der Praxis jedoch werden von den örtlichen bosnischen Behörden serbischen und kroatischen Rückkehrern Schwierigkeiten bereitet.

Es gibt allerdings auch objektive Hindernisse. Denn niemand weiß, wie die Rückkehr praktisch organisiert werden soll. Wo sollen die 11.000 Serben, die wieder nach Tuzla zurückgehen möchten, unterkommen? Die Stadt platzt jetzt schon wegen der 50.000 Flüchtlinge aus Srebrenica und anderen ostbosnischen Regionen aus allen Nähten. Unter den günstigsten Voraussetzungen könnte es Jahre dauern, bis alle wieder ihren Platz gefunden haben, meinen auch Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen. Viele Städte und Dörfer sind völlig zerstört, die Rückkehrer müßten erst ihre Häuser wieder aufbauen. Dazu bräuchten sie vor allem Geld und Materialien.

Hasan F., der Vertriebene aus Srebrenica, wird zunächst Unterschlupf bei Verwandten in Sarajevo finden. Er will vorerst nicht mehr zurück nach Srebrenica in die serbische Zone, in die Stadt, wo er seine Familie verloren hat. Am liebsten möchte er in Sarajevo bleiben und dort einen Job finden. Aber er horcht auf bei den Berichten, daß 5.000 Vertriebene aus der Region Banja Luka gemeinsam wieder in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Und auch das Projekt des Schweizer Bankiers Adil Sulfirkarpasić, den Besuch von 500 Vertriebenen aus Foca zu organisieren, findet er gut. „Ganz langsam muß die Rückkehr vor sich gehen.“