Wäre es nicht der Juhnke...

Bißchen doll traurig, bißchen doll leise: Harald Juhnke als „Hauptmann von Köpenick“ im Berliner Maxim-Gorki-Theater. Gibt sein Bestes, der Harald – und fällt vor anwesender Prominenz nicht weiter unangenehm auf  ■ Von Sabine Seifert

Nicht mal mehr in Ruhe ins Theater gehen kann man noch. Das Fernsehen war da. Herr und Frau Hildebrandt aus Brandenburg waren da. Sogar Herr Diepgen war da, den unser Hauptdarsteller – Zitat: „Solange ich in Berlin schon auf der Bühne stehe“, Zitat Ende – noch nie im Theater gesehen hat.

Mag am Spielort gelegen haben, denn nun hat Harald Juhnke (nach der Rolle in Falladas „Trinker“ – aber das war ja Fernsehen!) schon wieder ins Charakterfach und auch das Theater gewechselt. Hat unter großer Anteilnahme der Medien wochenlang geprobt. Hat nur einen einzigen Ausfall gehabt und am Samstag abend bei der Premiere als „Hauptmann von Köpenick“ anhaltenden Beifall erhalten.

Kluge Leute haben über das Stück von Carl Zuckmayer geschrieben, damals nach der Uraufführung 1931 in Berlin. „Im ersten Teil stirbt man vor Lachen. Im zweiten merkt mancher, daß er noch lebt.“ – Alfred Kerr, prägnant wie immer. „Deutschland lachte links. Deutschland lachte rechts. Aber es zerfiel in zwei Lager.“ So Herbert Ihering über die Militär-Klamotte, der Ludwig Marcuse mehr Witz als Tiefe bescheinigte. Allein in den zwei Jahren bis zum Verbot des Stückes im Jahr 1933 wurde es an mehr als hundert deutschen Theatern gespielt. Mein lieber Scholli!

Ein Stück Berliner Geschichte. Wer sie heute erzählen will, muß klarkriegen, was an Berlin heute noch preußisch ist. Das sollte eigentlich nicht schwierig sein. Arbeitserlaubnis. Meldebescheinigung. Ausweisung. Fetisch Uniform? Blanke Nostalgie. Aber der Befehlston, das militärische Schnarren in der Stimme ist den Berlinern geblieben. Die Berliner Verkehrsbetriebe schicken ihre Angestellten extra in Schulungen, damit sie das herrische „Zurücktreten!!!“ durch ein „bitte“ abmildern.

Die Gefahr ist beträchtlich, bei diesem Stück in Nostalgie zu machen. Da wird ordentlich berlinert, Zille sein Milljöh vorgeführt: die Plörösenmieze im Café, das schwindsüchtige Mädchen in der Dachkammer. Regisseurin Katharina Thalbach, die vor ein paar Jahren im unseligen Schiller Theater aus Lessings „Minna von Barnheim“ ein preußisches Parade- und Volksstück gemacht hat, läßt bei all dem sanfte Ironie walten.

Ihr Bühnenbildner Momme Röhrbein hat das Oberteil eines Karussells in der Bühnemitte montiert, von dem ein geraffter roter Samtvorhang herunterfallen kann: Jahrmarktsnostalgie. In diesem Halbkreis, dieser Jahrmarktsbude, wird gespielt.

Oder auch bloß durchmarschiert – eine Blasmusikkapelle spielt alles querbeet, von Militärmärschen bis zu Dixie. Rechts und links der Bühne ragen gewaltige Fenster in den Zuschauerraum hinein; zwei weitere Spielorte, die es ermöglichen, das personell aufwendige Stück unaufwendig abzuwickeln.

Manchmal bleiben die Fenster auch geschlossen und der Bühnenraum schwarz, dazu ertönen Kirchengesänge: Wir betreten wahlweise einen Kirchen- oder Amtsraum. Einmal tritt eine Nonne vor und singt: „Bis hierhin hat mich Gott geleit...“ – der Vorhang fällt und schneidet ihr Wort und Gesang ab.

Das sind so kleine Spielchen. Aber dann wird's ernst und traurig. Harald Juhnke als Wilhelm Voigt, der arbeitslose Schuster, der Knacki, der rührende Schwager und Seelsorger, der falsche Hauptmann. Juhnke mit ausgefranstem Schnäuzer und zerbeultem Hut. Klein, hagere Gestalt, herunterhängende Schultern. Eine absolut unmilitärische Erscheinung. Ein armer Tropf. Eine gebrochene Persönlichkeit, der man die Wut nicht zutraut, die Chuzpe, die ganz am Ende des Stücks zur Köpenickiade gehört.

Juhnkes Darstellung gerät traurig, leise, ein bißchen dolle traurig und ein bißchen dolle leise – das ist bereits eine Schwachstelle des Stücks. Wäre es nicht der Juhnke, bekannt aus Fernsehen und BZ, dessentwegen die Kamerateams vorm und im Theater lauern, er würde gar nicht weiter auffallen. Ins Ensemble des Maxim-Gorki- Theaters, wo er übrigens im Jahr 1948 das erste Mal auf der Bühne gestanden hat, paßt sich der Schauspieler dafür hervorragend ein.

Zuckmayer hat den „Hauptmann von Köpenick“ als ein „Märchen in drei Akten“ bezeichnet. Es beginnt mit der über Lautsprecher ertönenden Stimme der Regisseurin: „Es war einmal ein Schuster, und es war einmal eine Uniform.“ Katharina Thalbach läßt die Komik der Szenen oder Dialoge eher verhalten austragen. Sie spart trotzdem nicht mit aktuellen Andeutungen: die historischen Panoramen der kaiserlichen Stadtmitte und sogar die Reiterfigur Friedrich II. prägen von neuem die Stadt.

Man lacht, aber man lacht sich nicht tot, schon gar nicht im ersten Teil. Voigt ist eine traurige Kaspergestalt: „Paß ist weg, Geld ist weg, alles ist weg, liegt im Dreck, o du lieber Augustin...“, heißt es zum Schluß. Das Märchen ist aus. „Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute.“ Kein Zweifel.

Das Maxim-Gorki, das kleinste der Berliner Staatstheater, befindet sich Unter den Linden, an historischer Stätte. Friedrich II. reitet wieder gen Osten. Die Straßenlaternendebatte hat gerade erst begonnen.

Auch die Amtszeit des neuen Intendanten Wilma. Mit dem Gespann Thalbach – Juhnke ist ihm der erste große Coup gelungen. Die Vorstellungen vom „Hauptmann“ sind bis Ende Februar bereits ausverkauft, und schon überlegt man im Hause, ob man nicht im Sommer eine En-suite-Bespielung hinkriegen könnte. Ein Schlaumeier.