„Zerredet nicht den heißen Brei zur Suppe“

■ betr.: „Die Wut“ (Marcel Ophuls zu Peter Handke), taz vom 22. 1. 96

Gerechtigkeit für Serbien 96, Gerechtigkeit für Deutschland 46. Von daher ist Marcel Ophuls glaubwürdiger als der mir nur ästhetisch erinnerte Handke. Es ist doch etwas passiert. Es gab KZs und stille Freude an Karadžić.

Ich kann die Wut der Opfer fühlen, wenn so eine blasse Blume vom Tau der Unschuld duftet, während die Wurzel an einem Schädel entlangtastet. Es ist ein Naturgesetz der Psyche (das der Psychoanalytiker-Feind Karl Kraus desöfteren nachwies), daß lebensferne Typen keine Lyrik herauszuquetschen imstande sind. Warum soll es bei einem Psychiater anders sein, dem das Seelensezieren nicht genügt, um zu einem Rausch zu kommen? Lyrische Killer gibt es nicht, und wenn sie zehn Roms zur Deklamation brennen lassen. Sie haben nichts zu geben, können nicht weinen, und ihr Lachen speit Haß. Deshalb müssen sie ja ihre Leere mit Todesseufzen von Menschen füllen. Und was da als Rose in der Nacht und anderes Blech als Gedicht unter die Leute gepreßt wird, gibt nichts ab als das Echo einer Kanalröhre, in der But gerührt wird.

Und Handke? Nach der „Publikumsbeschimpfung“ aufgestiegen in den Olymp der Zeit. Ich höre tönendes Erz, klingende Schelle, schlage ein Buch auf und muß achtgeben, daß ich nichts von dem lauen Wasser verschütte, das mir entgegenschwappt. Sein und Etwas-besseres-sein-wollen, die gehn nicht zusammen. In Völkermordangelegenheiten über den Dingen schweben, da muß man schon schwer abgerückt sein.

Diese durchgeistigten Gestalten, die immer mal wieder für Leute Gerechtigkeit fordern, die allen Grund haben, so etwas zu fürchten, haben über ihre tiefen Einsichten aus hohen Standpunkten das eine vergessen, was Menschen sonst allein noch in Hoffnung und am Leben hält: daß nicht alles egal ist. Klaus Wachowski, Alzey

Man müßte meinen: Laß sie sich die Zungen fransen! – gibt es denn Unwichtigeres als deppisch über Krieg zu schreiben beziehungsweise sich – damit auseinanderzusetzen! Soviel Schwatz um wenig, ja: um Worte! Die Sache, die ganz am Anfang dahintersteht, ist schwerwiegend genug – zerredet nicht den heißen Brei zur Suppe! Suppe ist sowieso schon alles, keiner nimmt mehr sogenannte Schreckensnachrichten ernst, denn der stirbt unter vielen Worten. Nun sind Worte unser Instrument! – Die ziemliche Schlechtigkeit des Heute steht darin, daß, wer irgend sich gewaltig wähnt, ein Wort erhebt. Oft unbewußt der Menschenmasseneinzelfolgen drauf. Bücherlesen – it isn't in!

Ihr großen Köppe: Haltet ein bissel mehr eure klugfeinberedten Fressen – damit stiftet ihr mehr von dem, was Literatur soll(te): Frieden. Denn nur, wo einer sich erhebt, der andre, klar, dem widerstrebt. Ja, eitel geht die Welt zugrunde – nur: Eitle sind oft still Gesunde. Und wo sie's nicht sind jetzt und hier, da trink ich, so banal wirkt's, Bier. Martin Kortes, Berga

Ihr bekommt viele kritische LeserInnenbriefe, und Leute greifen viel öfter zur Feder, um zu tadeln, als sie dies um des Lobes willen tun. Also will ich euch heute mal sagen, wie angenehm intelligent ich die taz finde und wie sehr ich schätze, daß dezidierte, kompetente und mit nachvollziehbaren Emotionen geschriebene Artikel in großer Zahl in ihr vorkommen – zum Beispiel heute „Die Wut“. Gerne lese ich gelegentlich LeserInnenbriefseiten und hoffe immer insgeheim, daß ihr dem dort oft geäußerten Wunsch nach politisch korrekter Schreibe nicht nachkommt, sondern euch eure Intelligenz (und euren Humor) bewahrt. Inge Ludwig, Berlin

Jetzt wird man schon niedergebrüllt, wenn man beim Versuch, mit der taz noch zurechtzukommen, auch nur zusammenzuckt. Als ich dranging, Dunja Melcić' Stacheldrahtverhau zu lüften, begriff ich gerade noch und dafür blitzartig, bevor es nur noch zischte, daß ich ein amoralisches Monstrum, ein Verworfener bin, wenn ich etwa zu denen gehören sollte, die von Handke zum Reden animiert wurden. Und dann ließ Marcel Ophuls sein Tatsachenbombardement los, das nicht darauf berechnet ist, einen „Leser“ zu Atem kommen zu lassen. Geballtes Herrschaftsgebaren also hier wie da.

Zu Befehl, ich halte schon den Mund, verhalte die Feder, kein Lippenzucken soll mich noch einmal verraten, wenn's nach mir geht. Damit geht nichts verloren, denn zu solchen Typen fällt mir auch nichts ein. Karl-Christian Spethmann,

Hamburg

Die Kritik von Marcel Ophuls ist wichtig, aber sie trifft nicht. Indem Ophuls Handke in politische Zusammenhänge (Mitterrand usw.) stellt, behält er genau den Blick bei, von dem Handke uns (und sich) frei zu machen versucht: Den Blick auf die Interpretation, den Zusammenhang, die Wertung, ohne daß das Ding, um das es geht, erkannt worden wäre.

Handke hat nicht die persönliche Ehrenhaftigkeit dieser oder jener Frontberichterstattung angegriffen, sondern vor allem die Schreibtischtäter. Aber die Glorifizierung (Mann rettet Frau auf Friedhof) dieser Marlboro-Männer, ungebunden, Freiheit und Abenteuer, Hemmingway, und die Spanische Republik im Hinterhof, kann mich überhaupt nicht beeindrucken: Von einem Verbrechen zu berichten, ohne Partei zu sein, ist in gewisser Weise nie zu rechtfertigen. Der Ort des Verbrechens gehört den Trauernden (und den Rächern) – niemand sonst. Was will da der Reporter? Von einem Verbrechen zu berichten und Partei zu ergreifen – bedeutet die Grenze zur Manipulation schon zu überschreiten.

Und es sollte heute nicht mehr darüber debattiert werden, daß die Qualität eines Bildes und seine Authenzität öfter in einem sehr prekären Verhältnis zueinander stehen (Das Bild des aufrechten, erschossenen Soldaten – gestellt – und wäre es anders nicht schlimmer?)

Und – obwohl ich es nicht glaube und auch Handke nichts behauptet, nur fragt – wir sollten heute auch nicht darüber debattieren, daß in diesem Jahrhundert von Regierungen an ihren Bürgern aus politischer Zweckmäßigkeit schlimmere Verbrechen begangen worden sind, als 200 Unschuldige zu ermorden. Im Augenblick der Tat hat man ihr solch moralische Niedertracht meist nicht zugetraut – erst ein paar Jahre später.

Die Geschichte dieses Krieges wird erst noch geschrieben werden. Einiges dazu steht in der neuen Lettre. Wolfram v. Specht, Heilbronn