■ Nebensachen aus Tel Aviv
: Mögen Sie Richard Wagner?

Zur öffentlichen Aufführung kommen Richard Wagners Kompositionen in Israel so gut wie nie. (Aber der Teufel will es, daß – ausgerechnet beim Schreiben dieser Zeilen – der israelische Rundfunk aus Anlaß von Anton Bruckners Todestag ausnahmsweise das Vorspiel zu Lohengrin sendet). Auch hitzige Debatten in den letzten Jahren konnten den Wagner-Bann nicht brechen. Wagners Musik – so behaupten Überlebende des Holocaust – lasse Erinnerungen an die Nazi- Barbarei hochkommen. Der ehemalige Knessetvorsitzende und prominente Wagnerfeind Dov Schilanski findet, daß Wagner der israelischen Bevölkerung grundsätzlich nicht zuzumuten sei.

Gottfried Wagner hingegen, der Urenkel von Richard, findet in Israel gern Gehör. Der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geborene in Italien lebende Musikwissenschaftler und Philosoph hält derzeit an der Ben-Gurion- Universität, in der Wüste Negev, einen Vortragszyklus – Thema: Musik und Antisemitismus, von Richard Wagner bis zur Gegenwart.

Auch im Museum von Tel Aviv lauschte unlängst ein höchst interessiertes Publikum Gottfried Wagners Ausführungen über die Ursprünge der antisemitischen Weltanschaung seines Vorfahren, deren Einfluß auf die Entwicklung des Nazismus und schließlich über den gegenwärtigen kommerzialisierten Bayreuth-Kult. (Gottfried Wagners Vater Wolfgang ist derzeit Leiter der Festspiele.) Besonders bedauerlich findet es Gottfried Wagner, daß sich jüdische Dirigenten mit Weltruhm wie Daniel Barenboim und James Levine an diesem Betrieb beteiligen.

Gottfried Wagners Kritik an Barenboim – einem „jüdischen Wagnerianer“, der nach dem Tod Karajans in Israel einen intensiven, aber vergeblichen Versuch machte, um den Bann gegen Wagner zu brechen – war Musik für so manches israelische Ohr. Selten hat man in Tel Aviv so überzeugend vorgebrachte, vernichtende Angriffe auf Richard Wagner als „Totalantisemiten“ und weltanschaulichen Wegbereiter Hitlers gehört, noch nie so schlagende Argumente zur Rechtfertigung des israelischen Wagner-Banns – noch dazu aus dem Mund eines Experten aus der Familie Wagner selbst.

Für Israelis, die darauf bestehen, daß Wagners Musik in Israel nicht erklingen darf, ist dies eine letzte Bastion eines generellen Deutschlandboykotts der ersten Nachkriegsjahre. Als es mit den Zahlungsabkommen zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Israels Staatsgründer David Ben-Gurion zur Wiedergutmachung und Lieferung deutscher Güter kam, wurde dieser schnell auf einen Kulturboykott reduziert. 50 Jahre nach dem Holocaust ist Deutschland zum zweitgrößten Partner Israels in der Welt geworden. Zwischen beiden Staaten ist alles o.k. – nur: Wagners Musik soll in Israels Konzertsälen ungespielt bleiben.

Das Bild, das Gottfried Wagner in Israel von seinem Urgroßvater entwirft, ist sorgfältig recherchiert. Für ihn war Richard Wagner ein „negatives Genie“. Die Atmosphäre im heutigen Bayreuth bezeichnet Gottfried Wagner als „prosemitischen Antisemitismus“ und erklärt: „Wenn die Deutschen etwas tun, dann tun sie es hundertfünfzigprozentig.“ So hätten sie mit Hermann Levi einen jüdischen Dirigenten gefunden, „der die rassistische Oper Parzival dirigiert. Auf solche Weise wird Richard Wagner zu einem liberalen Prosemiten gemacht. Mich können sie jedoch nicht täuschen.“

Ein Aspekt allerdings fehlt fast gänzlich in Gottfried Wagners Vortrag: das musikalische Genie seines Urgroßvaters. Kein Wunder: denn hören mag Gottfried Wagner dessen Musik „nur zu Forschungszwecken, nicht zum Vergnügen und nicht zu Hause“. Und Geschirr wäscht er – so bekennt der Nachfahre – zu Klängen Mozarts. Amos Wollin