Das Spiel mit der kleinen Atombombe

Frankreich zündelt erneut im Pazifik. Auch die US-Versuchspläne könnten zum Sprengsatz für die Verhandlungen über ein umfassendes Atomwaffentestverbot werden  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Am Samstag abend um 22.30 mitteleuropäischer Zeit zündete Frankreich erneut eine Atombombe auf einem Südsee-Atoll. Bei der UNO-Abrüstungskonferenz über ein umfassendes Atomwaffentestverbot in Genf löste das zwar keine unmittelbare Reaktion aus – die Diplomaten der 38 Teilnehmerstaaten genossen ihr freies Wochenende. Doch selbst wenn diese sechste Explosion seit September letzten Jahres die letzte gewesen sein sollte: Längerfristig könnten sich die französischen Versuche – genau wie die von den USA für Juni und September angekündigten unterirdischen „subkritischen Tests“ in der Nevada- Wüste – als Sprengsatz für die Genfer Verhandlungen erweisen.

Nicht nur Greenpeace und andere rüstungskritische Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind überzeugt, daß die Tests dieser beiden Atomwaffenmächte nicht ausschließlich dem offiziell behaupteten Zweck dienen, die Einsatzfähigkeit der vorhandenen Arsenale zu überprüfen. Auch Indien und eine Reihe weiterer Staaten des Südens hegen den Verdacht, Hauptzweck der Tests sei die Entwicklung neuer Atomsprengköpfe. Unter der Bedingung, daß sie nicht namentlich zitiert werden, räumen selbst Militärexperten westlicher Delegationen ein, daß die Argumentationen der Regierungen Chirac und Clinton widersprüchlich sind. Denn da die Test- und Entwicklungsdaten aller bisheriger Atomwaffen vorliegen, ließen sich deren Sicherheit und Einsatzfähigkeit durch Computersimulationen überprüfen. Zur Entwicklung neuer Sprengköpfe sind hingegen weiterhin Feldversuche notwendig.

Handfeste Hinweise auf Pläne für neue Atomwaffen liefern Diskussionen und Entscheidungen der militärischen Führungsstäbe und Verteidigungsministerien vor allem der USA, aber auch Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands seit Beginn der 90er Jahre. Greenpeace hat sie in einer 1995 veröffentlichten Studie dokumentiert. Dabei geht es in erster Linie um die Entwicklung sogenannter „Mini“-oder „Mikronukes“, die der regionalen Abschreckung oder gar einem begrenzten Einsatz dienen sollen. Mit ihnen wollen die fünf anerkannten Atomwaffenmächte offenbar verhindern, daß sich weitere Staaten atomare, chemische und biologische Massenvernichtungsmittel aneignen.

Die vom Energieministerium in Washington für Juni und September angekündigten „subkritischen Tests“ in der Nevadawüste sorgen in Genf für besondere Irritation, auch bei westlichen Delegationen. Denn sie stehen in klarem Widerspruch zu Präsident Clintons bereits 1994 erklärten Verzicht auf Feldversuche. Die US-Delegation argumentiert jetzt, die „subkritischen Tests“ fielen nicht unter ein „umfassendes Testverbot“. Zwar sei der Einsatz von Plutonium vorgesehen, eine nukleare Kettenreaktion aber werde unterbleiben.

Nach Darstellung von regierungsunabhängigen Rüstungsexperten haben die drei großen US- Atomwaffenlabors Energieministerin Hazel O'Leary gedrängt, die Tests anzukündigen, um die Genfer Verhandlungen zu sabotieren. Das Kalkül könnte aufgehen. Nach dem indischen Votum, „subkritische Tests“ seien unvereinbar mit einem umfassenden Teststopp, schloß sich ein chinesischer General in nichtöffentlicher Sitzung dieser Haltung an.