Pubertätshumor sarkastisch

■ Thomas Brussig erzählt, wie phallokratisch die Wende wirklich war

Es war nicht Günter Schabowski, der die Maueröffnung verursacht hat, auch nicht Genschers Prag-Auftritt oder das demonstrierende Volk. Es war Thomas Brussigs Protagonist in Helden wie wir: Klaus Uhltzscht, dem „auf der Flucht vor seinem Schwanz die Mauer in die Quere kam“, die er dann durch ein schlichtes Öffnen seiner Hose zu Fall brachte. Das klingt gut. Klingt nach einem Wenderoman jenseits gefühliger Familienhistorie und ein wenig nach Verschwörungstheorie.

Außerdem will man schon deshalb weiterlesen, um zu erfahren, warum ein Ostberliner Jungautor ausgerechnet einen spätpubertären Phallozentriker zum Beender der deutschen Teilung macht. Wie es dazu kommt, steht leider erst auf der letzten Seite. Auf den 320 Seiten davor entwickelt Brussig die Biographie eines Flachschwimmers, Toilettenverstopfers und Sachenverlierers aus dem Osten Berlin.

Die räumt zumindest mit der gängigen Vorstellung auf, DDR-Jugendliche hätten als Gegenstück zum offiziellen Junge-Pioniere-Spießertum ihre Sexualität ausgelebt, wären begeisterte FKK-Verfechter und Super-8-Heimporno-Filmer gewesen. Titelheld Klaus Uhltzscht ist weit davon entfernt, und Schuld daran ist, klar, seine Mutter. Die Hygieneinspektorin des Bezirks Lichtenberg spricht „Sex“ wie „sechs“ aus (und „sexy“ wie „6y“). Für die erste Erektion des Helden ist Dagmar Frederic, Moderatorin von Ein Kessel Buntes verantwortlich. Aber einer Hygie-neinspektorin entgeht es natürlich nicht, wenn sich der Sohn mit einem Zelt in der Schlafanzugshose vom familiären Fernsehabend entfernt, und sie kommentiert: „Na, hast du wieder daran herumgespielt?“

Keine Frage: Unterdrückung dieser Art schafft zwangsläufig einen Stasi-Spitzel. So einer wartet stumpf auf den Tag X, an dem er endlich den entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung der NATO beisteuern kann. Daß es dazu nicht kommt, ist keinem Geringeren als Erich Honecker zuzuschreiben, für dessen Lebensrettung sich der loyale Uhltzscht einer spektakulären Operation unterzieht. Nebenwirkung: Aus dem Koma erwacht er mit einem nudelholzgroßen Penis, kann sich so endlich von der mütterlichen Disziplin lossagen und in einer schlichten Geste den Weg zur deutschen Einheit ebnen.

Banal? Ja, aber komisch, nett zu lesen und der Überraschungserfolg unter den Einheits-Romanen. Und noch ein bißchen mehr: Gelegentlich wird Brussigs lustiger Pubertäts-Humor sarkastisch. Dann blitzt der bitterböse Hass auf die tumben, ahnungslosen „Helden“ vom 9. November 89 auf.

Dorothea Sundergeld

Verlag Volk und Welt, 322 Seiten, 36 Mark Lesung: Morgen abend, 19.30 Uhr, Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1