„Auf Platte“ wird nicht gezählt

■ Hamburgs Obdachlose sollen befragt werden – aber wie?

Die Sozialbehörde macht Zugeständnisse: Mit der bundesweit ersten geschlechtsspezifischen Statistik obdachloser Menschen, die in Hamburg im Februar erstellt werden soll, kommt sie einer uralten Forderung frauenpolitischer Verbände nach. Ohne annähernd genaue Zahlen, so deren Kritik, seien zielgruppenspezifische Angebote nicht zu planen. Das will die Behörde nun ändern. Doch angesichts der Erhebungsmethode – gezählt wird nur in Obdachloseneinrichtungen, nicht aber auf der Straße – wähnen Kritiker Fehlerquellen:

Ziel ist, flächendeckend für das Stadtgebiet zu erfassen, wieviele Männer und Frauen – unterteilt nach Alter und Nationalität – wie lange „Platte machen“. Die Ergebnisse dienen als Grundlage künftiger Planungen der Obdachlosen-Hilfe. Als Erhebungszeitraum sind, so die Begründung zur Zählung, die „Wintermonate des Jahres 1996 vorgesehen, weil zu erwarten ist, daß in dieser Zeit witterungsbedingt nahezu alle Obdachlosen die Angebote der Anlaufstellen im Bereich der Obdachlosenhilfe nutzen“.

Um die Totalerhebung durchführen zu können, wurde im Eilverfahren ein Gesetz geschaffen. Der Senat hat bereits am vergangenen Dienstag zugestimmt, in dieser Woche soll die Bürgerschaft das Gesetz beschließen. Überraschend sagte dann aber die ursprünglich mit der Zählung beauftragte Uni-Forschungsstelle Vergleichende Stadtforschung ihre Mitarbeit ab. Schließlich wurde als unabhängiger, externer Gutachter ein freiberuflicher Sozialwissenschaftler ausgewählt, der die Zahlen gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden vom 29. Februar bis zum 6. März erheben wird.

Als Methode wurde die direkte Befragung auf der Straße lebender Menschen gewählt. Auskunftspflicht besteht allerdings nicht. „Wer in den Wohnunterkünften des Landesbetriebes Pflegen und Wohnen und in den Hotels und Pensionen lebt, wissen wir schon“, sagt Behörden-Sprecherin Tordis Batscheider. Daher werde nur in niedrigschwelligen Anlaufstellen wie Tagesaufenthaltsstätten, „Suppenküchen“, Bahnhofsmission und anderen Beratungsstellen gezählt. Leider verkennt die Behörde vor lauter guter Absicht, daß diejenigen, die solche Angebote ablehnen oder gar nicht kennen, keine Chance haben, erfaßt zu werden: Um die Fehlerquelle der Statistik von vornherein geringer zu halten, hätten zumindest auch „klassische Plätze zum Platte-Machen“ in die Untersuchung miteinbezogen werden müssen, bemängeln Kritiker.

Für die ersten beiden Kältetoten dieses Winters kommt die Studie ohnehin zu spät. Fraglich ist auch, ob sie die Bedürfnisse obdachloser Menschen tatsächlich berücksichtigen wird: Die Forderung, U-Bahnschächte zu öffnen, um Obdachlose vor dem Erfrieren zu retten, wird sich nicht durchsetzen lassen, solange der politische Wille dazu fehlt. Heike Haarhoff