Zigaretten brauchen keine Luft

Beruf: Schmuggler. Drago Mlicic bringt alles und jeden „rüber“  ■ Aus Rom Werner Raith

Die Hand auf meiner Schulter greift fest zu. In Rom ein Grund, sich ebenso entschieden loszumachen. „Ich wette, du erkennst mich nicht mehr“, sagt die Stimme hinter mir. Ein Mann mit einer Krücke, das eine Bein unter dem Knie amputiert, Vollbart, darüber zwei blitzende blaue Augen. Er hat recht, erst an der Stimme ist er zu erkennen: Drago Mlicic. Vor vier Jahren sahen wir uns das letzte Mal, da hat er uns, eine Gruppe Journalisten, bei Triest über die Grenze gebracht, als der Krieg in Kroatien ausbrach. Damals sah er noch anders aus, mit zwei Beinen und sehr agil. „Eine Panzermine“, erzählt er, „Ende 1994.“

Drago war Schmuggler, „en gros“, wie er das seinerzeit ausdrückte, „und alles, was man illegal rüberbringen muß“. Das war in den sechziger und siebziger Jahren Tabak und auch schon mal „ein wenig Rauschgift“. In den achtziger Jahren dann vor allem Menschen. „Pakistani, Inder, Malaien, Chinesen, Afghanen, Libanesen, auch Bulgaren und Albaner, aber von letzteren damals noch nicht so viele.“ Als der Zerfall Jugoslawiens einsetzte, brach diese Schiene zunächst mal ab: Drago lebte, wenn auch schlecht – „wegen des Geizes von euch Schreiberlingen“ –, noch einige Zeit von den Presseleuten, für die die Grenzen einige Zeit gesperrt waren.

Dann erkannte er, „daß der Krieg Jahre dauern“ würde und verlegte sich auf die einschlägigen Branchen: Waffenschmuggel in die Kriegsgebiete, Herausbringen von Flüchtlingen, „ohne in die Minenfelder zu laufen, die diese Säue gegen die eigenen Leute um die Dörfer gelegt hatten“.

Drago hat seine „Arbeit“ nie als humanitäre Angelegenheit betrachtet: „Es ist gleichgültig, ob du eine Ladung Zigaretten vor den Zöllnern verbergen mußt oder Menschen – nur daß Zigaretten keinen Lärm machen und keine Luft zum Atmen brauchen.“ Entsprechend teurer ist menschliche Fracht. Umgerechnet 300 Mark hat er damals pro Kopf verdient, „aber mit Erfolgsgarantie“, sagt er stolz. „Leider verlangten auch die Schmuggler an den anderen Grenzen Geld, und so kam da der eine oder andere aus Hinterindien schon mal auf fünf- bis zehntausend Mark, bis er in Italien war.“

Als der Krieg auf dem Balkan begann und die Grenzen zunächst mal dichtgemacht wurden, kamen „vor allem die Reichen aus Kroatien und Slowenien daher und bestellten schon mal Fluchtgelegenheiten vor. Das Geschäft ging nicht schlecht.“ Doch dann ging das im Westen Jugoslawiens schnell zu Ende, und gleichzeitig begann ein großer Andrang aus Bosnien. Die EU sagte Aufnahme zu, da konnte man allenfalls noch Transportgeld verdienen. „Ein richtiger Schmuggelaufpreis war nicht mehr drin.“ Also verlegte sich Drago auf Waffenimport. Und dabei hat er sein Bein verloren. „Geschäftsrisiko“, sagt er ohne den geringsten Anflug von Selbstmitleid.

Der Friede gibt ihm wieder Hoffnung. Ende Februar wird er wieder nach Kroatien fahren und dort „im alten Geschäft arbeiten. Der Druck aus dem Osten wird wieder unheimlich stark“, sagt er, „da brauchen die sogar Krüppel, wenn sie so erfahren sind wie ich.“ Seine Verbindungen zu den Zöllnern und zur italienischen Armee, die die Grenzen sichern soll, hat er in seinen zwei Jahren Rom eher noch ausgebaut: „Da kann faktisch nichts schiefgehen.“

Hat er mit den Menschen, die er herübergebracht hat, mitunter noch Kontakte? Er lächelt: „Um Himmels willen, nein, ich hoffe, keiner von denen erkennt mich wieder. Der könnte mich doch sofort denunzieren.“ Außerdem – „wenn man sich auf deren Schicksal einließe, wäre man als Schmuggler verloren“.

Bislang ist ihm das nur einmal passiert, und das ärgert ihn mehr, als daß es ihn bekümmert. Schließlich schädigt es das Image. Dann runzelt Drago für einen Moment die Stirn. „Zweimal“, sagt er, „bin ich in Versuchung geraten, einigen Leuten von einem Transport hinterherzuspüren, weil es besonders arme Teufel waren. Aber ich habe sie nicht wiedergefunden.“ Darüber scheint er wirklich froh zu sein. So, als hätte er Angst, in sich so etwas wie Gefühl zu entdecken.