Dallas mit viel Dusel

Super Bowl XXX: Dank guter Defensive gewannen die Dallas Cowboys gegen Pittsburgh mit 27:17  ■ Von Andreas Lampert

Portland (taz) – Phil Simms, ehemaliger Quarterback der New York Giants und heute Kommentator für das Fernsehen, erinnert sich noch gut an seinen ersten Auftritt in einer Super Bowl, dem größten Sportereignis der USA: „Wenn du aus dem Tunnel kommst, wird es dir anders. Als ich meine Jungs zusammenrief, sah ich, wie allen die Knie schlotterten. Meine Hände zitterten und meine Füße standen wie auf Treibsand. Ich dachte nur: ,Um Himmelswillen!‘ und hoffte, daß es unserem Gegner genauso gehen würde.“ Phil Simms' Gebete wurden erhört, die Giants gewannen 1987 gegen die Denver Broncos mit 39:20.

Weil die Fachleute den Pittsburgh Steelers genau jene schlotternden Knie voraussagten, galten im diesjährigen NFL-Endspiel, das im Sun Devil Stadium in Tempe, Arizona, ausgetragen wurde, die Dallas Cowboys, die in den letzten vier Jahren die Super Bowl zweimal überlegen gewonnen hatten, als klare Favoriten. Mit mindestens zwei Touchdowns Unterschied würde die Mannschaft aus Texas siegen, hatten die Buchmacher prophezeit. Für Pittsburgh gäbe es nur eine Chance, wenn es den Spielern gelingen würde, das Spiel möglichst schnell in eine „ordentliche Wirtshausschlägerei“ zu verwandeln und die flamboyante Mannschaft aus dem Süden ihres Potentials zu berauben.

So wie ein Großteil der ersten Spielhälfte verlief, sahen sich alle Hobbypsychologen bestätigt. Die Cowboys diktierten das Spiel und führten schnell durch zwei Field Goals ihres Kickers Chris Boniol und einen Touchdown von Jay Novacek mit 13:0. Zwar gelang es den Steelers, die großen Offensivkräfte der Cowboys, Running Back Emmitt Smith und Wide Receiver Michael Irvin, weitestgehend abzuschirmen, aber gegen Novacek, der immer wieder in die dadurch entstehenden Freiräume stoßen konnte, fand die Defensive kein Mittel. Der so oft gepriesene „stählerne Vorhang“ aus Pittsburgh war zu diesem Zeitpunkt keineswegs gehärtet.

Das Endspiel schien zu einem Langweiler erster Güte zu werden, wie in den Jahren zuvor, als die Mannschaft aus der National Football Conference (NFC) ihren jeweiligen Gegner nach Belieben beherrschte. Zu brav agierte Pittsburghs Offensive um Quarterback Neil O'Donnell, der seine Würfe nicht an die Paßempfänger bringen konnte. Doch in den letzten vier Minuten der ersten Hälfte begann sich das Schwungrad des Schicksals in Richtung der „Blue Collar Boys“ aus Pennsylvania zu drehen. Ein Spielzug über 14 Stationen wurde zwölf Sekunden vor der Halbzeit mit einem Touchdown durch Yancey Thigpen gekrönt. 13:7, das Spiel war wieder offen.

Auch in der zweiten Hälfte hatte Pittsburgh zunächst mehr vom Spiel. Die Abwehr der Steelers blockte die Angriffsbemühungen der Cowboys ab, und die eigene Offensive wurde durch geschickt herausgepielte Raumgewinne belohnt. Im weiten Rund des Stadions waren die grell orange leuchtenden „Leidenshandtücher“ (Markenzeichen der Steelers- Fans) überall sichtbar. Dallas' Spieler schienen plötzlich Blei in den Stiefeln zu haben. Doch Pittsburgh vermochte die Vorteile nicht zu nutzen, und ein abgefangener O'Donnell-Paß drehte das Spiel mit einem Mal herum. Das Lederei landete in den Händen von Cowboys-Cornerback Larry Brown, wenig später erzielte Emmitt Smith einen zweifelhaften Touchdown, bei dem nicht klar war, ob der Ball rechtzeitig hinter der Linie war. Dennoch 20:7, es sah wieder nach einer klaren Sache aus.

Aber das letzte Viertel gehörte noch einmal den Steelers, und es sollten bizarre 15 Minuten werden. Norm Johnson erzielte ein Field Goal zum 20:10, und mit seiner nächsten Aktion schien sich das Schicksal der Steelers zu wenden. Durch einen perfekten Onside- Kick, mit dem keiner gerechnet hatte, brachte sich Pittsburgh erneut in Ballbesitz, und die völlig geschockten Cowboys mußten hilflos zusehen, wie eine außer Rand und Band geratene Steelers- Mannschaft übers Feld marschierte. Running Back Bam Morris spazierte in die Dallas-Endzone, und obwohl die Cowboys immer noch 20:17 führten, gab keiner mehr allzuviel auf „America's Team“. Dallas' nächster Angriffszug wurde souverän gestoppt, und Pittsburgh schien vier Minuten vor Schluß zum endgültigen Schlag auszuholen.

Doch wie ein langsam die Überhand gewinnender Raufbold, der plötzlich zuviel Zeit zum Denken hat, machten die Steelers denselben Fehler, der sie schon im Viertel zuvor kalt erwischt hat: Erneut landete ein Wurf von O'Donnell in den Armen von Larry Brown, der den Football bis an Pittsburghs 6-Yard-Linie trug. Im nächsten Spielzug lief Emmitt Smith in die Endzone, und das Match war entschieden.

Mit 27:17 gewannen die Cowboys zum fünften Mal die begehrten Super-Bowl-Ringe. Doch Dallas siegte diesmal nicht dank seiner Offensiv-Stars Aikman, Smith, Irvin und Sanders, sondern wegen der soliden Defensive. Symbolisch dafür steht die MVP-Trophäe für den besten Spieler, die Larry Brown bekam, der mit seinen zwei Interceptions die entscheidenden Akzente gesetzt hatte. Erst zum zweiten Mal in der 30jährigen Superbowl-Geschichte wurde ein Defensivspieler ausgezeichnet.