■ Von Müttern erwartet unsere Gesellschaft Aufopferung, aber hält sie wegen ihrer Opferbereitschaft für provinziell
: Mama-Mobbing

„Total unprofessionell“, lästerte einer meiner taz-Kollegen, als ich in einem Artikel die Schmetterlingsjagd meines Sohnes beschrieb. Der Kollege glaubte mir den journalistischen Grundsatz beibringen zu müssen, daß die eigene Person hintenan zu stehen habe. Ich hatte aber gar nicht von mir geredet. Hätte ich über meinen Hund geschrieben, hätte er das normal gefunden. Seltsam: Unsere Texte über mißbrauchte Kinder oder geschlagene Mütter finden reißenden Absatz, aber wehe, wir erwähnen unser eigenes Kind.

Das Reden über Mutterschaft wird als peinlich empfunden. Auch Nadja Klinger hat vor kurzem diese Erfahrung gemacht. Für ihre „Schlagloch“-Kolumne mit dem schönen Titel „Kinder lenken uns ab – auf das Wesentliche“ (taz vom 3. 1. 96) erntete sie zwar viel Lob, aber auch viel Kritik. Manche, darunter überdurchschnittlich viele Frauen, darunter auch ich, zeigten sich sehr berührt davon, wie sie ihre Empfindungen während und nach der Geburt ihres Kindes beschrieb. Andere aber, mehrheitlich Männer, empfanden diese Beschreibung als peinlich, larmoyant und unverständlich. Über so etwas spricht man(n) nicht.

Und: Wer es wagt, von seinem „Ausstieg“ zu sprechen, wie Nadja Klinger, riskiert, nicht ernst genommen zu werden. In unserer Gesellschaft gilt: Mütter sind unpolitisch. Mütter sind lieb, aber ein bißchen doof. Mütter riechen nach Käseauflauf und Stinkesocken. Mütter sitzen im Kreis und reden über Babyblähbäuche. Mütter sind betuliche, nervige, überbesorgte Wesen, die man im besten Fall milde belächeln sollte.

Vor ein paar Jahren zog Dorothee Dieckmann in ihrem Buch „Unter Müttern“ gnadenlos über die alternativen Mütter her, die sich als schwitzende Sippschaft gegenseitig im Biobreikochen und Wollwindelwaschen überbieten würden. Das Buch, das hohe Auflagen erreichte, war witzig zu lesen. Und dennoch war es ein trauriger Text, denn die Autorin, wiewohl selbst Mutter, hatte nicht bemerkt, daß sie nur die gängigen Ressentiments verinnerlicht hatte und Klischees über blöde Strumpfstrickemütter reproduzierte. Damit machte sie die eigene Person zur Äffin im gesellschaftlichen Zoo.

Ich hätte lieber ein Buch gelesen, das mich jenseits von Kitsch und Klischees meine eigene Sprache als Mutter finden läßt, indem es den Prozeß des Mutterwerdens von Privatheit und Peinlichkeit befreit und beschreibt.

Die leib- und lustfeindliche Tradition des Christentum hat dafür gesorgt, daß eine Geburt als unrein gilt, als Sauerei, als Blut- und Schlammschlacht. Am Anfang war das Wort und nicht die Mutter. Wir alle sind Kopfgeburten des heiligen Zeitgeistes. Die Vordenker des Kapitalismus, Martin Luther und Réné Descartes, haben den Tanz um das goldene Individuum begonnen, dessen Schwindel uns im doppelten Sinne heute noch packt: Ein jeder glaubt, er sei der voraussetzungslose Höhepunkt der Schöpfung.

Mütter gelten deshalb als so doof, weil sie weder daran noch an die Marktgesetze glauben. Im Gegenteil, sie verstoßen dagegen: Sie produzieren bleibende Werte, ohne sich dafür bezahlen zu lassen. Die herrschende Perfidie besteht nun darin, daß man von den Frauen Aufopferung erwartet und sie wegen ihrer Opferbereitschaft gleichzeitig für provinziell und bescheuert erklärt. Eine klassische Double-bind-Situation, der eine Mutter scheinbar nur dann entgehen kann, wenn sie sich am Mama- Mobbing selbst beteiligt.

Die Erfahrungen und Bedürfnisse von Müttern haben keine große Präsenz in der Öffentlichkeit. Um mit der italienischen Philosophin Luisa Muraro zu sprechen: Mütter sind in der symbolischen Ordnung nicht vertreten. Und das läßt sie verstummen, obwohl sie am Anfang jeder Sprache – Muttersprache – stehen. In allen Bereichen der gegenwärtigen symbolischen Ordnung repräsentieren Männer das Allgemeine und Frauen das Besondere. In der Arbeitswelt haben Männer ein Geschlecht. Frauen aber sind das Geschlecht – mann beachtet sie, weil sie sexy sind –, oder sie haben kein Geschlecht – mann achtet ihren Geist, weil mann ihren Körper mißachtet. Die „Mutti“, die die Machthaber der DDR zur gesellschaftlichen Leitfigur erhoben hatten, war dabei wohl eine Spezialkreation des realen Sozialismus: Sie war Geschlecht, ohne Geschlecht zu haben. Ihr weibliche Fürsorglichkeit platzte ihr aus allen Nähten, aber zuviel Mutti-Appeal weckte Inzestängste und erstickte jede Erotik.

Dennoch war Kinderkriegen, Mutterschaft und auch Vaterschaft in der DDR sicherlich weit besser in den Alltag integriert und damit auch weit mehr akzeptiert als in der BRD. Noch heute, Nadja Klinger hat es in den Reaktionen auf ihren Artikel ebenfalls verspürt, wird entsprechende emotionale Verausgabung im Westen als weitaus peinlicher empfunden denn im Osten. Der trigonometrische Punkt jeder Gesellschaft, die Arbeitswelt, war indes im Osten wie im Westen männlich genormt. Diese Normierung bestimmt: Du hast allzeit verfügbar zu sein und deine Familie als Privatleben zu begreifen.

Und das gilt selbst für Alternativprojekte wie die taz. Wer nicht rund die Uhr berichten kann und für Redaktionskonferenzen oder Krisensitzungen verfügbar ist, der taugt halt nur bedingt für die höheren Weihen des Journalismus. Was Wunder, daß lange Jahre die männlichen Mitglieder der Redaktion Kinder kriegten und die Redakteurinnen Unterleibsprobleme. Und nun, da auch einige wenige Frauen zu Müttern wurden, bekommen diese die Pressemitteilungen zum Thema Kita-Versorgung oder Babykostskandale zugeschoben. Umgekehrtes haben die zahlreichen Väter in der Redaktion nicht zu beklagen.

Aber was hilft das Jammern? Jammern schafft nur Subalternität statt Stärke. Vor zwei Jahren machte eine Müttergruppe in Berlin-Schöneberg Furore, als sie in einem öffentlichen Park Hunderte von Hundehaufen mit orangefarbenen Fähnchen markierte. Es war ein Protest gegen ein zum Himmel stinkendes Symptom der allgemeinen Kinderfeindlichkeit, der aber auch auf die symbolische Ebene übertragbar ist: Wenn sich mutige Mütter öffentlich aufeinander beziehen, wenn sich mutige Väter der Verfügbarkeit entziehen und sich um ihre Brut kümmern, wenn Eltern die Mauern um die vorgesehene Hundezone, die vorgesehene Arbeitszone, die vorgesehene Kinderzone einzureißen beginnen, dann ist Weihnachten endlich da. Wenn aber die patriarchale Scheiße nicht öffentlich markiert wird, werden wir immer weiter darin herumtreten. Ute Scheub