Danke, Hoechst: Der Rhein wird schmerzfrei

■ Der Frankfurter Chemiekonzern legt gleich noch einen Unfall nach und bemerkt ihn erst nach 28 Stunden. Eineinhalb Tonnen Schmerzmittel fließen in Main und Rhein

Frankfurt/Main (taz) – Nach dem Störfall vom Sonnabend gab es bei Hoechst gleich noch einen weiteren Giftunfall. Über einen Zeitraum von drei Stunden, so der Sprecher der Hoechst AG in Frankfurt, Hartmut Vennen, seien in der Nacht zum Sonntag im Pharma-Produktionsbetrieb rund eineinhalb Tonnen eines „Zwischenproduktes“ in den Kanal zur biologischen Abwasserreinigung geflossen. Von dort aus sei dann „eine noch unbekannte Menge“ dieser flüssigen Substanz in den Main gelangt. Nach Informationen aus dem hessischen Umweltministerium handelt es sich bei dem Zwischenprodukt zur Herstellung des Schmerzmittels Novalgin um die Chemikalie 4-Amino-Antipyrin- Sulfonsäure.

Registriert wurde das „Überschäumen“ der Substanz, die gegen 3 Uhr ausgeflossen war, erst gestern früh um 7.30 Uhr, so Vennen. Der zuständige Mitarbeiter habe den Zwischenfall nachts in das Protokollbuch eingetragen und sei anschließend nach Hause gegangen. Erst gestern sei der Unfall bei einer Routinebesprechung bemerkt worden. Danach, so Vennen weiter, seien umgehend die zuständigen Behörden informiert worden.

Viel sagen konnten die Verantwortlichen des Chemiegiganten diesen Behörden offenbar nicht. Denn darüber, wie sich die ausgetretene Substanz in der Umwelt verhalte, so Vennen offen, würden nur wenige Informationen vorliegen. Vorsorglich hat das Regierungspräsidium in Darmstadt die sogenannte Rheininformation (Rheinalarm) ausgelöst. Das Überwachungssystem bei der Hoechst AG, so mutmaßte gestern Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), sei ganz offenbar „völlig out of control“ geraten. Nicht anders sei es zu erklären, daß ein solch gravierender Störfall erst nach 28 Stunden entdeckt wurde.

Greenpeace forderte im Zusammenhang mit dem Störfall bei AgrEvo, einer Tochtergesellschaft von Hoechst und Schering, vom Sonnabend inzwischen die Einstellung der Produktion von Isoproturon. Das krebserregende Gift hatte etwa 50 Hektar verseucht. Was da in den Frankfurter Stadtteilen Griesheim und Schwanheim niedergegangen sei, so der Chemiebereichsleiter von Greenpeace, Benny Härlin, sei nur ein Bruchteil dessen, was Jahr für Jahr ganz legal in die Umwelt freigesetzt werde, sich in Flüssen und im Grundwasser ansammle und damit die Trinkwasserversorgung gefährde. Über 1.000 Tonnen des krebserregenden Isoproturons, so Greenpeace, würden pro Jahr auf deutsche Äcker gekippt. Die Unfälle vom Wochenende waren der neunte und zehnte bei Hoechst innerhalb von drei Jahren. Als Folge des Störfalls vom Samstag blieben gestern mehrere Kindergärten und Schulen geschlossen. Wann sie wieder geöffnet werden, hängt von Bodenuntersuchungen ab.

Klaus-Peter Klingelschmitt Seite 6