Werderfans landen im Loch

■ Fünf Jugendliche fuhren zum Spiel Leverkusen gegen Werder und kamen in den Knast

Wochenlang fieberten Jens (19), Marlon (15), Markus (17), Dennis (15) und Christian (20) dem Bundesliga-Spiel Bayer 04 Leverkusen gegen Werder Bremen entgegen. Am 30. September war es endlich so weit. Die fünf Fußballfans schlüpften in ihre Werder-Trikots und stiegen in den Zug in Richtung Leverkusen. Dort landeten sie allerdings nicht im Haberlandstadion, sondern in einer stickigen Zelle des Polizeigewahrsams. Sechs Stunden verbrachten die fünf Freunde hinter Gittern. Ihr Vergehen: Sie trugen Werder-Trikots. Sie sangen Bremen-Lieder. Doch das eindeutigste Indiz: Die Jungs waren mit dem Zug nach Leverkusen gekommen. „Aufgrund polizeilicher Erfahrung ist die Anfahrt der auswärtigen Fans mit Zügen der Bahn AG“ nämlich „als brisant zu bezeichnen“ – so Polizeipräsident Dieter Erhorn.

Für diese Argumentation haben die fünf Freunde nur Spott übrig. „Wir und gewaltbereit, daß ich nicht lache“, sagt Dennis. „Wir waren ganz friedlich“, beteuert der 15jährige Schüler. „Wir hatten höchstens ein paar Bierchen getrunken“, pflichtet ihm Christian bei. „Wir sind am Bahnhof raus und wollten ins Taxi, um ins Stadion zu fahren. Da haben uns die Polizisten abgefangen und gesagt: ,Ihr dürft nicht mit dem Taxi ins Stadion fahren. Ihr verschwindet hier'.“

„Wir haben noch gefragt warum, aber der Polizist hat gleich an seinem Schlagstock rumgefummelt“, erinnert sich Dennis. „Wir haben keinen Bock zu diskutieren, hat er nur gesagt und uns weitergeschickt.“

Daß die fünf Freunde die Anweisungen der Polizei befolgten und brav in Richtung Fußballstation trotteten, wird auch von der Polizei nicht bestritten. Darüber, was allerdings danach geschah, gehen die Versionen von Polizei und den Fans auseinander. „Wir haben noch zwei andere Fußballfans kennengelernt. Der eine hatte etwas vergessen und wollte noch mal zurückgehen. Wir haben auf ihn gewartet und eine Zigarette geraucht. Da kam ein Mannschaftswagen angefahren. Polizisten sprangen heraus, legten uns Kabelhandschellen an und zerrten uns ins Auto. Sie haben uns an den Ohren gezogen und uns als Stück Scheiße beschimpft“, erzählt Dennis.

Die Version der Polizei liest sich anders: „Den weiteren Weg zum Stadion schlugen sie nur mürrisch und zögerlich ein“, wirft Polizeipräsident Erhorn den Jungen vor. „Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit versuchten die Jugendlichen wiederholt, an den dort postierten Einsatzkräften vorbei in den Innenstadtbereich zu gelangen. Nachdem sie dort erneut auf den direkten Weg zum Stadion gewiesen werden sollten und sie dieses wiederum nicht befolgten, wurden sie in Gewahrsam genommen“

Im Polizeigewahrsam wurden die Fans fotografiert und durchsucht. Waffen oder ähnliches wurden nicht gefunden. Trotzdem mußten die Jungs für sechs Stunden in den Knast. „Grundsätzlich werden die Fans solange in Gewahrsam genommen, bis das Spiel vorüber ist“, erklärt Georg Kraushaar, Pressesprecher der Polizei Leverkusen. „Mit Sicherheit sind die Jungs keine schlimmen Fußballfans gewesen“, räumt er ein. „Aber die Beamten hatten keine andere Wahl. Bei Fußballspielen wird die City grundsätzlich für auswärtige Fans gesperrt. Die treffen sonst auf die heimischen Fans, und es kommt zu Ausschreitungen.“

42 Straftaten seien insgesamt bei den 23 Fußballspielen der vergangenen Saison begangen worden. Darunter 16 Körperverletzungen, elf Diebstähle und drei Sachbeschädigungen. „72 Prozent der Tatverdächtigen stammten aus den Gastmannschaften – deshalb diese Vorkehrungsmaßnahmen.“

Die fünf Bremer Fans tröstet das wenig. „Die ersten Tage danach waren die Jungs völlig fertig“, erinnert sich Frank Bettinger. „Die konnten nicht glauben, was ihnen da passiert ist.“ Der pädagogische Leiter des Jugendclubs Vahr, in dem die fünf Fußballfans ein- und ausgehen, hat deshalb ein Hearing mit dem Bremer-Fanprojekt sowie dem Amt für Soziale Dienste einberufen. Außerdem hat er einen Brief an den Polizeipräsidenten geschrieben. „Ich wollte den Jugendlichen helfen, den Vorfall zu verarbeiten.“ Die Antwort des Polizeipräsidenten, die Bettinger jetzt bekommen hat, sei dabei allerdings wenig hilfreich gewesen. „Bei den Personen“ habe es sich „zumindest um gewaltgeneigte Fans“ gehandelt, „die bei einer stetig steigenden aggressiven Grundhaltung nicht nur die Auseinandersetzung mit gegnerischen Fans suchten, sondern auch Widerstand gegen die polizeilichen Maßnahmen leisten würden“, so die Einschätzung des Polizeipräsidenten. Deshalb hält er auch die Handfesseln für gerechtfertigt – und zwar feste: „Zur Fesselung wurden sogenannte Einwegfesseln verwendet, die bei lockerer Fesselung eine unproblematische Befreiung der Gefesselten möglich machen und somit ein strammes Anziehen der Handfesseln erfordern.“ „Das Verhalten der Beamten sei nicht zu beanstanden“ – die „Beschwerde unbegründet“.

„Das kann nicht wahr sein“, ärgert sich Frank Bettinger. „Das sind ganz vernünftige Jungs. Die haben mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die überzogene Reaktion der Polizei kann dazu beitragen, die Jugendlichen zu kriminalisieren.“ Das will Bettinger nicht auf seinen Jungs sitzenlassen. Er erwägt, gerichtlich gegen die Polizei vorzugehen. „Aber da wird wohl Aussage gegen Aussage stehen.“ Übrigens: Auch das Spiel Bayer Leverkusen gegen Werder ging unentschieden aus – 2 : 2. Die Polizisten haben es den Jungs erzählt – gleich nach der Freilassung. kes