: Abschiebehaft legal? umuumstritten
■ Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt die gängige Praxis der Ausländerbehörde / Freiheitsberaubung?
Für nicht rechtens hält der Bremer Rechtsanwalt Hans Meyer-Mews die Praxis der Ausländerbehörde, ausreisepflichtige Ausländer zuerst festnehmen zu lassen und nachträglich die Abschiebehaft zu beantragen. Das Ausländeramt, sagt Meyer-Mews, sei nicht befugt, „ausreisepflichtige Ausländer allein zu dem Zweck festzunehmen, um gegen sie einen richterlichen Beschluß zu erwirken, mit dem die Abschiebehaft angeordnet wird“. Dieses Vorgehen könnte, folgert er aus Beschlüssen vom Bundesverwaltungsgericht, Bundesgerichtshof sowie vom Oberlandesgericht Frankfurt, „den Straftatbestand der Freiheitsberaubung“ erfüllen.
Der jüngste Gerichtsbeschluß, auf den sich der Anwalt bezieht, datiert vom 3.3.95 und stammt vom OLG Frankfurt. „Das geltende Abschiebungshaftrecht ermächtigt die Ausländerbehörde nicht dazu, einen Ausländer zur vorläufigen Sicherung der Abschiebung in Verwaltungsgewahrsam zu nehmen“, heißt es darin. „Ausnahmslos jede, auf Abschiebungshaftrecht beruhende Gewahrsamsnahme setzt eine vorherige abschiebungshaftrichterliche Anordnung voraus.“
Dieter Trappmann, Leiter der Ausländerbehörde, hält die bisherige Praxis für gerechtfertigt. Diese sei durch das Ausländergesetz und das Polizeirecht abgesichert. Wer sich illegal in Deutschland aufhalte, begehe eine Straftat und dürfe daher auch ohne richterlichen Beschluß vorübergehend festgenommen werden. Dies gelte bereits bei Verdacht auf einen illegalen Aufenthalt, wobei der richterliche Beschluß spätestens vor Ablauf von 48 Stunden vorliegen müsse.
Auf das Polizeirecht zu setzen, lehnt das OLG Frankfurt jedoch explizit ab: „Dadurch, daß die Ausländerbehörde auf abschiebungsfremde Möglichkeiten der Gewahrsamnahme des Strafrechts oder des Polizeirechts, deren Rechtsmäßigkeit der Senat nicht überprüfen kann, ausweicht, wird der betroffene Ausländer in ein vom Abschiebungshaftrecht so nicht vorgesehenes gerichtliches Eilverfahren hineingezogen, ohne die Möglichkeit zu haben, sich sachgerecht auf das Verfahren einzustellen.“
Ein Eilverfahren, hält Trappmann dagegen, sei nicht zu umgehen, selbst wenn die Festnahme erst nach dem richterlichen Beschluß erfolge. Rechtsanwalt Meyer-Mews aber sieht einen Zeitgewinn, den die Ausländer außerhalb der Haftmauern nutzen könnten, um Rechtsmittel gegen die angedrohte Haft oder Abschiebung einlegen zu können.
Für die andere Seite bedeutet die Umkehr der bisherigen Praxis einen zeitlichen Mehraufwand. Für einen großen Teil der jährlich etwa 1.000 vollstreckbaren Abschiebeverfügungen müßte das Amtsgericht, so Trappmann, „auf Vorrat“ richterliche Beschlüsse formulieren und bearbeiten. Das sei kaum praktikabel, bestätigt Helmut Kellermann, Richter am Landgericht und Vorsitzender der für Haftbeschwerden zuständigen 10. Zivilkammer.
Daß dieses Argument aus Sicht der betroffenen Ausländer kaum akzeptabel ist, weiß er. Daher müsse geprüft werden, ob der Beschluß des OLG Frankfurt, der ihm erst seit wenigen Tagen vorliege, für Bremen Veränderungen nach sich ziehe. Zwar sei der Frankfurter Beschluß für Bremen nicht unmittelbar bindend, könnte aber in einem Präzedenzfall benutzt werden. „Wir werden das prüfen“, meint daher Kellermann. Vom Vorwurf der „Freiheitsberaubung“ allerdings spricht er die Ausländerbehörde frei. Dazu gehöre der Vorsatz, und den könne man dem Amt, dessen Praxis bundesweit gängig sei, nun wirklich nicht unterstellen. dah
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