Sanssouci
: Nachschlag

■ Ein Stück von Thomas Jonigk im Renaissance-Studio

Der Bühnenraum ist gefährlich. Eine einzige Orgie brokat- blümeranter Klaustrophie, eine schreiende Metapher für großbürgerliche Kleinkariertheit. Natürlich erinnert diese allumfassende großgeblümte Plattitüde (sogar den Flügel hat's erwischt) an rot-schwangere Puffatmosphäre – womit, Achtung!, die Bedeutungsebene mit dem Zaunpfahl eingebleut ist: Die Etikette ist die Kehrseite des „Verderbten“. Alles ist falsch, alles Fassade. Folglich sind die Figuren gepudert und mit blonden Perücken versehen. Hier folgt das Sein der Fasson. Oder es erstickt, kein Zweifel: Es ist kein Entkommen, kein Platz für Aufbegehren und Rebellion. Somit bleibt hier die Leitfrage des Autors, was passieren müsse, damit jemand aus einem System ausbreche, von Anfang an rhetorisch.

Der schwule Sohn (Andreas Erfurth): gefangen in den Klauen seiner Enkel-orientierten Mutter (Gertrud Roll). Sein Aufbegehren nach selbstbestimmtem Schwulsein bleibt reine „Angabe vor dem Aufgeben“. So endet Thomas Jonigks Stück „Du sollst mir Enkel schenken“ zwar tatsächlich. Doch was der „Nachwuchsdramatiker des Jahres 1995“ (Theater heute) im Verlauf der zwangsweisen Vorstellung einer Heiratskandidatin an delikaten Formulierungen, überraschenden Klischeeverdrehungen und offenen Entwicklungsmöglichkeiten bietet, verspielt Regisseur Oswald Lipfert brav. Ach, was hätte man aus diesem (fast schon Schwabschen) Personal machen können: Eine mit Liebe unterdrückende Mutter, ein schwuler Sohn, sein vielleicht schwuler Bruder, eine Hure, deren heiratswillige und eingefühlt- betroffene fette Ziehtochter sowie ein geldgieriger Pfaffe, der die Verheiratung zugunsten kirchlicher Finanzen mit einfädelt.

Eine Verheißung! Doch hier wird aus der Groteske eine Platteske, der intelligente, witzige Text nur getreulich nachgestellt. Lipfert bietet dem Stück und der schwer bedeutungsvollen Bühne kein Paroli. Weder durch ein angemessenes Quantum an Phantasie noch elegante Leichtigkeit, geschweige denn intelligente Interpretationen. Als asexueller Bläßling buckelt der Sohn vor Frau Mama, gestisch bleibt sein Widerwillen zumeist auf ein Augenverdrehen und Lippenschnappen beschränkt. Und wenn er Mama würgt, dann hat sie noch Zeit, malerisch über den Sessel zu fließen. Sehr lustig. Wo Jonigk die alten Klischees neu erzählt und ihnen sprachlich eine lange Nase zeigt, zeigt die Inszenierung Klischees, wie wir sie bestimmt nicht mehr sehen wollen: So röchelt und würgt die Mutter, wenn sie nur an schwulen Sex denkt, und Klaus, der Bruder, peinigt sich mit dem Symbol der geordneten Bürgerlichkeit, dem Flügel. Es behaupte keiner, die HB-Zigarette danach (nach der Flügelquälerei) bedeute den ironischen Bruch. Petra Brändle

„Du sollst mir Enkel schenken“, Di-Sa, 20 Uhr, Renaissance- Theater Studio, Knesebeckstraße 3, Charlottenburg