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Ein Schlag auf den Hinterkopf Von Andrea Böhm

Es gibt in den USA mächtige und einflußreiche Menschen, meist männlichen Geschlechts, die weder vom Volk gewählt noch übermäßig reich sind. Man nennt sie Kolumnisten. Das sind Kollegen der schreibenden Zunft, die – gewissermaßen zur lokalen Institution befördert – mehrmals in der Woche in der New York Times, der Washington Post, dem Boston Globe oder dem San Francisco Chronicle die Welt aus ihrer Sicht betrachten und bewerten. Eben so, wie ein paar taz-AutorInnen das täglich an dieser Stelle tun – mit dem Unterschied, daß man in den USA auf solche Leute hört. Zum Beispiel auf Mike Royko von der Chicago Tribune.

Royko hat in seiner Laufbahn mitgeholfen, so manchen Lokalpolitiker oder Richter in den Rücktritt oder Ruhestand zu schreiben. Des öfteren nimmt er sich aber auch der kleinen Leute Chicagos an – Menschen, denen Unrecht widerfährt, ohne daß sie sich dagegen wehren können. Zum Beispiel Maurica Taylor.

Die junge schwarze Frau war in die Mühlen der Chicagoer Sozialbürokratie geraten, weil ein Sachbearbeiter sie ausdauernd und uneinsichtig mit einem gewissen Maurice Taylor verwechselte, der seit Monaten die richterlich angeordneten Alimente für seinen Nachwuchs schuldig blieb. Royko griff mit der Verve des Rächers der Enterbten und Entrechteten zur Feder – und gab Mauricas Mutter die Schuld an dem Malheur. Hätte sie ihrer Tochter einen tradionellen Frauennamen „wie Jane, Mary oder Gertrude“ gegeben, dann wären ihrer Maurica diese Probleme erspart geblieben. „Manche schwarze Namen sind einfach jenseits des Erklärbaren“, schrieb Royko. Natürlich war es nicht Roykos Affinität zu „Gertrude“, sondern dieser letzte Satz, der in Chicago letzte Woche einen Sturm der Empörung auslöste.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kann man seine Kinder so nennen, wie es einem gefällt. Und vielleicht, weil ihnen andere Möglichkeiten überdurchschnittlich oft verbaut werden, neigen schwarze Mütter und Väter in den USA eher dazu, von dieser besonderen Freiheit Gebrauch zu machen. „Maurica“ ist da noch vergleichsweise konventionell. Beliebt sind arabisch oder afrikanisch klingende Namen wie „Rashad“ oder „Shaquille“ oder Phantasiegebilde wie „Anfernee“. Aus den beiden letzteren ist übrigens das höchst erfolgreiche Duo des Basketball-Teams „Orlando Magic“, Shaquille O'Neill und Anfernee Hardaway, geworden. Aber zurück zu Mike (wie langweilig) Royko.

Hinter seinem megadummen Kommentar steht weniger die Angst, daß er demnächst die Namen der US-Basketballstars nicht mehr buchstabieren kann, als vielmehr die typische, latent rassistische Attitüde vieler Weißer, wonach sich Schwarze nach all dem Rummel um Bürgerrechte und Antidiskriminierungsgesetze der letzten dreißig Jahre nun endlich „so benehmen“ sollen wie Weiße. „Sie brauchen einen Tritt in den Hintern“, schrieb ihm eine empörte Leserin. „Nein, ich brauche einen Schlag auf den Hinterkopf“, schrieb ein ungewöhnlich reumütiger Royko zurück – und entschuldigte sich in aller Form. Am Ende hat er mit seiner Kolumne wohl vor allem eines erreicht: den Namen „Gertrude“ unpopulär gemacht.

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