■ Freizeitgestaltung nach dem Wochenende
: Punk und Politik

Am Montagabend heben vernünftige Menschen ihre selbstauferlegte zweitägige Ausgangssperre wieder auf und nehmen das Recht auf nächtliches, aushäusiges Amüsieren mit nachsichtigem Lächeln denen wieder ab, die es von Freitag bis Sonntag voll Stolz, voll Alkohol und voll doof vor sich hertrugen: Diese Menschen, die ihre eigene Existenz aufs Wochenende verschieben, dann „über die Stränge“, und durch ihr lauthalses Vorhandensein ins vergrämte Gesicht all derer schlagen, die die Nacht alle Tage als Freund begreifen und aber durch das Amüsier- und Lederjackenkonzentrat am Wochenende aus der Stadt getrieben werden. Nun muß man hoffen, daß es nicht zur Viertagewoche kommt und eine weitere Nacht der Penetranz überantwortet wird. Im Moment noch ist die Situation erträglich und zu meistern, indem man eben strikt – auch wenn Kinoeinladungen weinenden Herzens verschoben werden müssen – daheim bleibt.

Am vergangenen Montag nun ging es gleich wieder erfreulich los mit dem Viertagewochenende für die Wochenendzeitverschmäher. Auf der Reeperbahn taten sich unter all den Vergnügungsofferten gleich zwei betagte Plakate hervor, die da riefen: „Komm, tritt ein, exotischer Jüngling, hier gibt es Trinken und Reden und Tanzen, und gerade Du hast uns dazu noch gefehlt.“ Grellbunt empfahl das eine „Ramones – The last & final Tour“, und das andere zeterte „Jugend und Gewalt – Experten reden Klartext“.

Nanu, dachte man da, merkwürdig, diese beiden Plakate hängen hier schon weit über zehn Jahre, und das trotz hamburgüblicher, beinahe täglicher Umplakatierung und bei dem Wetter, so was! Doch genau wie das Diskussionsgelage in der Prinzenbar, so war auch das Konzert der Ramones im nur einen Pflastersteinwurf von der Prinzenbar entfernt gelegenen „Docks“ für die wilden neunziger Jahre angekündigt, für ganz doll heute.

Die Ramones sind für den Punkrock das, was „Jugend und Gewalt“ für manierierte Stadtteilproblembewältigungstreffen ist: eine modifizierte Tina Turner. Die wird es immer geben, die Tina, die Ramones und die Diskussion, ob der Jugenddampfer schon abgefahren ist. Zum Klartext der Experten hatte die Junge Union geladen, so daß die vernunftorientierten Schritte diskussionslos zum Docks sich aufmachten, jedoch innehielten ob folgender Überlegung: Die Hermeneutik der heute gültigen Punkmusik läßt es zu, daß diese auch solche Leute auf den Plan und ins Konzert ruft, die man gemeinhin als eher unpunkig bezeichnen muß – also durchaus junge Junge-Unions-affine Haltsuchende. Dann doch lieber gleich Klartext, klar Schiff und sauberer Stadtteil, bevor man sich doch aus Versehen mit Musikliebhabern gemein macht, die beim Ramones- Konzert Basisarbeit betreiben. Vielleicht ist ja das ganze Docks getränkt mit tanzenden Jungpolitikern? Vielleicht kommt es am Ausgang zum Disput zwischen Angela Marquardt (PDS, der Haartrachtengruppe Ramones ex cathedra zugetan) und ihrem jungen Parteigenossen Matthias Gärtner aus Sachsen-Anhalt, die sich in Angelas gefärbte Haare kriegen, weil diese Matthias frohgelaunten Schlachtruf „Hey ho, let's go!“ mißgedeutet und ihren Erstreihenplatz aufgegeben hat? Aber so was passiert ja meistens nicht. Also auf zum nimmermüden Geronten, zum Landesjugendbeauftragten, zum Jugendrichter, zum Fraktionschef und zu – ah: „Domenica, Streetworker“. Gut zwei, wenn nicht gar drei Tage der Entsagung hatte man durchleiden müssen, daß man sie zuletzt in irgendeiner Show hat weinen, bei einer Tombola hat mitbieten, bei einem wohltätigen Ball hat sammeln sehen: zunehmend larmoyant und nachlassend lasziv über die Widrigkeiten der Gesellschaft plaudernd. Sie, ja sie kennt die Straße und Himmel und Hölle, vom Saulus zum Paulus zum Verdruß – egal. Wo immer eine Emulsion aus Gefeier und Geseier zusammengeführt wird, ist Domenica Niehoff schon da. Rührend!

Woher sie ihre mannigfaltigen Erfahrungen über „die armen Dinger“ auf der Straße so bezieht, ist etwas rätselhaft, da Domenica zu jeder Stunde schwatzt und sammelt und Bücher vorstellt, doch manche Leute brauchen ja erstaunlich wenig Schlaf, so wahrscheinlich auch Domenica. Und wenn alle Sender und Hörer und Schreiber und Leser und Seher friedlich schnarchen und das Leid so erträglich machen, zieht sie nimmermüde durch die Gassen, wachen Blickes, weichen Herzens und in ständiger Gewißheit: Die Dinger brauchen mich. Die neue Sachlichkeit der Domenica: Hier, wie auch bei den Ramones, kommt es nicht so sehr auf die Texte an. Wichtig allein Gesten und Emotionen, und die gibt es heute abend mal wieder umsonst und danach Musik von DJ Max. Hey, ho, so, so. Bis auf weiteres wird auch der Montag für unzumutbar erklärt. Benjamin v. Stuckrad-Barre