Schlechte Aussichten

Mit präsidialen Erlassen werden unabhängige Sender in Belarus auf Parteilinie getrimmt  ■ Von Judith Vidal-Hall

Fragt man Zhana Litvina, Rundfunkmacher und Gründungsmitglied der kürzlich gegründeten unabhängigen Journalistenvereinigung, nach den Aussichten für unabhängige Sendungen in Belarus, bekommt man eine pessimistische Antwort. Seiner Meinung nach wurde der entscheidende Schlag gegen die unabhängigen Medienmacher im Vorfeld des Maireferendums und der Wahlen 1995 geführt. Der erste Schlag kam im Dezember 1994. „Ab sofort“, sagte Präsident Lukaschenka bei einem Treffen mit Jugendorganisationen und Studenten, „werden wir eine aktive Rolle bei der Beeinflussung von Journalisten und ihrer Arbeit spielen.“ Und er drohte: „Ich habe vor, mindestens noch zehn Jahre Präsident zu sein, und die Journalisten täten besser daran, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.“

Lukaschenka hielt Wort. Am 8. Mai verschwand Prospekt, eine der wenigen Sendungen, die kontroverse Themen wie Sprache, Geschichte oder nationale Symbole analytisch und offen angingen. Übrigens hatte sie hohe Einschaltquoten. Der Chefredakteur wurde entlassen, die Öffentlichkeit derweil mit einem glitzernden Junkprogramm aus dem Stadium von Minsk-Dinamo abgelenkt. Kanal8, der regionale Fernsehsender der Hauptstadt, war bereits Mitte April „aus technischen Gründen“ ausgeschaltet worden – woraufhin das Regierungsmonopol der Sendeanstalten komplett war.

„Wir hatten keine Möglichkeit, das Wahlvolk aufzuklären oder ein Forum für offene Debatten zu schaffen“, klagt Litvina. „Die Regierung war fest entschlossen, die Öffentlichkeit ihren politischen Zielen zu unterwerfen.“

Und dann war sie auch so weit, eigene Maßnahmen zu ergreifen. Ihr „Plan zur ordnungsgemäßen Durchführung des Referendums vom 14. Mai“ war spezifisch und detailliert. Dieses – so Litvina – „Meisterstück“ alten Stils setzte allen Rundfunk- und Fernsehjournalisten eine simple Aufgabe: „Bei der Bevölkerung den Wunsch zu wecken, am Referendum teilzunehmen und seine Fragen mit ,Ja‘ zu beantworten“. Das Jugendradio erhielt die Weisung, „gesellschaftliche Fragen zu behandeln, Interviews mit Schauspielern, Leitern von Jugendorganisationen und Diskussionen zwischen jungen Leuten verschiedener Berufe und Interessen zu organisieren“ über Themen wie „Wir lieben beide Sprachen“, „Wir singen in zwei Sprachen“, „Musiker für zwei Sprachen“ – und dies alles möglichst nett mit „kurzen Reden“ zu sorgfältig ausgesuchten Themen zu mischen. Die Redakteure des staatlichen Rundfunks wurden instruiert, eine Serie mit Philologen und Historikern zur Frage „Ist die russische Sprache die Sprache der Belorussen?“ vorzubereiten. Andere Vorschläge für Sendungen waren ähnlich überzeugend: „Wir stammen alle aus der gleichen Wiege der Slawen“ und „Welche Sprache sprach Skaryna?“ Ein „permanentes Beratungsteam“, das aus entsprechenden Institutionen zusammengestellt wurde, wie dem Slawischen Rat, der den pan- slawischen, russophilen Ansichten des Präsidenten nahesteht, wurde „empfohlen“. Der Plan des Präsidenten litt an keinerlei Ambivalenzen: Für ihn waren die einzigen „wünschenswerten Kulturträger“ diejenigen, die sich immer schon für eine Vereinigung mit der Russischen Föderation und für die Beibehaltung beider Sprachen ausgesprochen hatten.

„Die Gesellschaft hat sich in zwei klar voneinaner getrennte Lager geteilt“, sagt Zhana Litvina, „da sind die, die schon ihren Sieg über die belarussische Unabhängigkeit feiern. Und die anderen können die Kränkung nicht vergessen, die darin liegt, die nationalen Symbole wieder abzuschaffen und das Land an die imperiale Macht zurückzugeben.“

Die Regierung tut alles, um den unabhängigen Medien den Hahn zuzudrehen, und erteilt zugleich dem Moskauer Sender „Mir“ eine Lizenz für Belarus. Nach Angaben des Kultur- und Presseministeriums hat das russische Fernsehen doppelt so viele Zuschauer in Belarus wie das nationale. Auch die russischen Rundfunksender haben 50 Prozent mehr Zuhörer als der landeseigene Sender.

„Wie können wir einen Staat entwickeln, eine nationale Identität finden, wirtschaftliche Reformen in Gang bringen oder gar eine demokratische, zivile Gesellschaft entwickeln“, fragt Zhana Litvina einigermaßen verzweifelt, „ohne alternative Massenmedien?“