"Wir müssen Trendsetter sein"

■ Das Holocaust-Mahnmal kommt, auf einen Hauptstadtvertrag Kultur muß man in Berlin noch warten. Sagt Peter Radunski

taz: Eine Bemerkung von Ihnen über das Berliner Holocaust- Mahnmal sorgte am letzten Wochenende für Aufregung. Sie sagten, über den Entwurf von Christine Jackob-Marks müßte „neu nachgedacht“ werden. Was meinen Sie damit?

Peter Radunski: Ich bin im ZDF-Kulturmagazin Aspekte in einer Art Fragebogen à la Proust gefragt worden, was meine Meinung zu diesem Thema ist. Präziser hätte ich sagen können: Das Denkmal kommt, bloß die Form ist noch offen. Ich habe als Kultursenator keine Entscheidungskompetenz, bin jedoch an der Diskussion darüber beteiligt. Und da gehöre ich zu denen, die glauben, daß mit dem Entwurf einer begehbaren hundert mal hundert Meter großen Betonplatte, auf der Namen der Opfer verzeichnet sind, die Form noch nicht gefunden ist. Auch unter den Betroffenen gibt es viele, die etwa die Namen nicht eingraviert haben wollen.

Ignatz Bubis hat diesbezüglich vorgeschlagen, die Namen der Lager einzugravieren.

Das wäre eine Alternative, wenn man bei dem Entwurf von Frau Jackob-Marks bleiben will. Eine Modifizierung dieses Entwurfs ist jedoch ebenso möglich, wie auf einen anderen Entwurf zurückzugreifen. Ein Wettbewerb verpflichtet ja nicht zur Realisierung. In jedem Fall sollten zu diesem Thema stärker die Betroffenen gehört werden. Es muß eine Lösung gefunden werden, die auf einen breiten Konsens stößt. Sich in dieser Frage zu zerstreiten stünde uns schlecht an.

In den letzten Tagen haben Sie außerdem mehrfach gesagt, Berlin müsse sich mit Metropolen wie Paris, London oder New York vergleichen lassen. Was ist für Sie das Hauptstädtische an der Berliner Kultur?

Das wäre ein abendfüllendes Thema. Ich habe Berlin nicht erst seit heute auswärts darzustellen, und dabei gerate ich immer wieder in eine Zwickmühle: Sagen wir in Berlin, wir seien mit unserer Kultur zufrieden, heißt es, wir seien selbstgenügsame Provinz. Sagen wir, wir müßten uns mit Paris, London oder vielleicht sogar New York messen, heißt es, wir seien größenwahnsinnig.

Was also ist das Hauptstädtische? Eine Stadt, in der es drei renommierte Opernhäuser gibt, ist mit Sicherheit eine einzigartige Opernstadt. Unsere Museumslandschaft, in der auch Fachbereiche wie Ägyptologie repräsentiert sind und die in der Lage ist, zwischen moderner Kunst und der Kunst des vorigen Jahrhunderts in einzigartiger Weise zu vermitteln, ist so herausgehoben, daß man sagen kann: Nach Berlin zu fahren ist so, wie nach Paris zu fahren – man könnte die ganze Zeit in Museen verbringen.

Der dritte Punkt ist, daß wir eine lebhafte, quirlige junge Off- Szene haben. Diese müssen wir viel stärker hervorheben, als wir es bisher getan haben. Und darüber hinaus gilt ganz allgemein, daß die Grundtendenzen, in denen eine Nation denkt und in denen sie sich bewegt, nun mal auf der Plattform ihrer Hauptstadt zum Ausdruck kommen.

Wie steht es Ihrer Ansicht nach um den zeitgenössischen Tanz in Berlin? Alle drei Opernhäuser haben eigene Compagnien, aber keine gilt als herausragend. Denken Sie hier an eine Zusammenlegung?

Beim Tanz ist es in jüngerer Zeit nicht so gut gelaufen. Stuttgart und Hamburg haben uns zweifellos überholt. Der Gedanke der Konzentration in diesem Bereich ist da vielleicht nicht abwegig. Durch Johann Kresniks Engagement an der Volksbühne haben wir immerhin einen anderen Akzent zeitgenössischen Tanztheaters gewonnen – wobei ich nicht ganz sicher bin, ob das eine Zukunftsversion ist oder nicht doch bloß eine Reminiszenz an die 60er und 70er Jahre. Man wird sehen, was an Neuem in diesem Bereich entsteht. Wir haben jetzt eine Reihe von Reproduktionen erlebt, und auch wenn sie aktualisiert und modernisiert wurden – in Berlin darf man nicht soviel reproduzieren. Wir müssen Trendsetter sein. Ob wir das wollen oder nicht, es wird von einer Hauptstadt verlangt.

Wenn es etwa Peter Stein schafft und wenn wir ihm dabei helfen können, dieses gut angedachte „Faust“-Projekt zu realisieren und wenn es dann von einigen großen europäischen Städten abgenommen wird, dann müssen wir nicht auf Peter Brook starren und sagen: Gott sei Dank kommt der bald wieder und zeigt uns, was modernes Theater ist.

Welche Künstler wollen Sie an Berlin binden?

Binden möchte ich in erster Linie diejenigen, die heute hier tätig sind. Aber ich würde mich nicht durch finanzielle Forderungen unter Druck setzen lassen. Wer vorgibt, woanders viel mehr Geld bekommen zu können, den muß man auch einfach mal reisen lassen, damit er sieht, ob sich diese Hoffnung erfüllt. Denn hier ändert sich etwas. Wie ich die kulturelle Entwicklung in der ganzen Welt einschätze, gibt es kaum jemanden, der so viel mehr Geld als wir zur Verfügung hat – von vereinzelten Prestigeprojekten mal abgesehen.

Kommen wir zum Thema Kulturfinanzierung. Werden Sie versuchen – und wenn ja, wie –, Drittmittel zu beschaffen?

Ich will mir die Sponsorenszene ganz genau ansehen. Falsch wäre es, sich auf die Berliner Wirtschaft zu beschränken. Das Attraktive an einer Hauptstadt ist ja, daß in der ganzen Nation Interesse bestehen könnte, hier als Sponsor von Kultur aufzutreten.

Thomas Krüger, der kulturpolitische Sprecher der Bundes-SPD, hat angeregt, eine Bundeskulturstiftung einzurichten. Und vom Berliner Rat für die Künste gibt es den Vorschlag, einen Hauptstadt- Kulturfonds einzurichten, in den neben dem Geld von Bund und Land ja ebenfalls Sponsorengelder einfließen könnten. Was halten Sie von solchen Modellen?

Ob diese beiden Setzungen schon die richtigen sind, kann ich im Moment nicht sagen. Bei einem breiten Stiftungsrahmen gibt es das Verteilungsproblem, und die Firmen wollen in der Regel genau wissen, wofür ihr Geld verwendet wird. Für einen richtigen Gedanken halte ich indessen projektbezogenes Sponsoring. Wenn wir 1998 das Brechtjahr haben, das Berliner Ensemble einige besondere Inszenierungen macht, es gleichzeitig ein Symposium gibt und die Akademie der Künste etwas initiiert – dann könnte man die Veranstaltungen bündeln, um dafür Sponsorengelder einzuholen.

Nur über einen Fonds hätte man aber die Möglichkeit, auch nichtrepräsentative Projekte zu fördern.

Der Wunsch jedes Kulturpolitikers ist es natürlich, einen Fonds zu haben, mit dem er fördern kann, was er für gut und wertvoll hält. Aber ich rede von der Motivation der Sponsoren. Und die ist noch nicht so riesig. Kultursponsoring ist in Deutschland entwicklungsbedürftig. Und darum müssen wir uns kümmern, denn es ist nicht absehbar, daß die staatlichen Kassen wieder besser ausgestattet werden.

In den Koalitionsvereinbarungen steht, daß ein Hauptstadtvertrag Kultur mit der Bundesregierung angestrebt wird, der sich an den Konditionen für die Stadt Bonn orientiert. Das heißt: Bis zu 70 Prozent der Etats einzelner Kulturinstitutionen sollen vom Bund finanziert werden. Wann kommt es zum Abschluß eines solchen Vertrages?

Ich bin zunächst einmal dankbar, daß der Bund generell eine Fürsorge für die Berliner Kultur angemeldet hat. Ich glaube, das ist momentan noch ein psychologisches Problem. Je länger der Bund hier in Berlin sein wird, desto mehr wird er sich hier engagieren. Noch ist ja das Hauptstadtbewußtsein der deutschen Politiker nicht so entwickelt.

Aber die Zeit drängt. Das Konzept, das der Rat für die Künste für eine Bundesbeteiligung ausgearbeitet hat und das die stufenweise ansteigende Förderung repräsentativer Institutionen vorsieht, hat ja auch einen tieferen Sinn: In dem Maße, wie der Berliner Kulturetat entlastet wird, können und sollen kleinere Institutionen und Projekte gefördert werden. Und viele von denen sind heute schon in ihrer Existenz bedroht.

Der Bund wird etwas tun. Aber er wird nur für spezielle Institutionen Geld geben, an denen er auch interessiert ist. In der Tat könnte das Land Berlin dann mit dem freiwerdenden Geld bei kleineren Institutionen einen Ausgleich schaffen. Augenblicklich sind die finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern jedoch relativ schwierig. An allen Ecken und Enden wird geknapst. Deswegen glaube ich, daß man auf den psychologischen Faktor setzen und abwarten muß, daß der Bund mit Berlin ein politisches Zeichen setzen will.

Halten Sie eine 70prozentige Übernahme der Kosten einzelner Häuser zumindest als Zukunftshoffnung für realistisch?

Anstreben kann man das ja. Aber meine Kenntnisse von der Bundespolitik erlauben solche Hoffnungen nicht. Diese Zahl ist eine Metapher dafür, daß wir den Bund daran erinnern können, daß er sich in Bonn kulturell engagiert hat. Ein solches Engagement für Berlin hat er im Hauptstadtvertrag auch generell anerkannt. Und nun müssen wir darüber reden, wie er diese Verantwortung für die Berliner Kultur übernehmen kann.

Reden wir über eine Verantwortung der Kulturverwaltung. Das Jüdische Museum soll nach dem Willen seines Leiters Amnon Barzel ein Museum für zeitgenössische jüdische Kunst werden. Im vergangenen Jahr ist dieses Museum nun in die neugegründete Stiftung Stadtmuseum integriert worden, und ein eigener Ankaufsetat ist nicht vorgesehen.

Ich kenne das Problem. Vom ersten Moment an, an dem wir den Neubau des Museums durch Daniel Libeskind beschlossen haben, mußten wir uns fragen: Was sind die Folgekosten? Zeitgenössische jüdische Kunst zu zeigen ist ein hochinteressanter Gedanke. Aber muß man denn gleich den ersten Auftrag um einen zweiten erweitern? Vielleicht macht man erst mal jüdische Stadtgeschichte, wofür das Museum auch vorgesehen ist. Danach kann man über weiteres nachdenken. Statt mit dem Problem zu beginnen, sollte man sich um das Machbare kümmern.

Interview: Petra Kohse