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: Ein deutscher Ingenieur

Die postmoderne Hyperpolitik hat zwei Formen der Intervention im politischen Tagesgeschäft etabliert: die chirurgischen Schläge (Bagdad) und das Gespräch mit dem Vorschlaghammer (Perwomaiskoje). Der „deutsche Ingenieur Paul Krüger“ (Munzinger) hat jetzt ein völlig neues Interventionsmodell ins Gespräch gebracht: das einfache Sehen, wahrscheinlich mit dem bloßen Auge, nähere Angaben wollte Krüger vor der Friedensnobelpreisverleihung nicht machen.

Krüger, in seiner Freizeit Sprecher der ostdeutschen CDU-Abgeordneten im Bundestag, hat seine Entdeckung am Montag abend eher beiläufig erwähnt. Auf die Frage, was er von der Senkung des Solidaritätszuschlages halte, hat er geantwortet: „Ich glaube nicht, daß das bei den Ländern ankommt. Wir ostdeutschen Abgeordneten werden uns die weitere Entwicklung ganz genau ansehen.“ Da war's: ganz genau ansehen wolle er sich die Entwicklung. Schon zwei Stunden später hatte sich der Bundeskanzler bei den ostdeutschen Abgeordneten entschuldigt und ihnen versprochen, den Solidaritätszuschlag ab 1997 auf 46 Prozent zu erhöhen. Kohl ließ außerdem über Kanzleramtsminister Bohl mitteilen, er erwäge auch eine symbolische Wiedergutmachung bei den Ostdeutschen: Egon Krenz könnte als Bauminister in sein Kabinett eintreten, vorausgesetzt, seine Bewerbungsunterlagen seien vollständig und er lächele auf seinen Paßfotos nicht wieder so blöd wie 1989.

Damit hat Paul Krüger zum zweitenmal bewiesen, daß deutsche Ingenieure zu allem fähig sind (Standort Deutschland!!!). Bereits im Mai 1993 verblüffte er mit einer unkonventionellen Entscheidung. Kohls damaliges Angebot, er, Krüger, sei doch aus dem Osten, ob er nicht Forschungsminister werden wolle, er habe auch eine halbe Stunde Zeit, sich zu entscheiden, nahm er nach 10 Minuten an. Schließlich hatte er in Wismar Maschinenbau studiert. „Mir war klar“, sagte er zu sich selbst, „wenn du etwas verändern willst, geht das nur über eine Partei.“ Oder über das Sehen. Jens König