: „Venedig hat seine Seele verloren“
In der Nacht zum Dienstag brannte eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt, das La Fenice, in der norditalienischen Lagunenstadt vollständig nieder. Nun soll es wieder aufgebaut werden ■ Von Anita Kugler
Venedig weint“, titelten gestern die Mittagszeitungen in Italien. Venedig weint, das Opernhaus La Fenice, neben der Mailänder Scala wohl das berühmteste der Welt, brannte in der Nacht zum Dienstag vollständig aus. Fünfzig Meter hoch schlugen die Flammen, weithin sichtbar über der Lagunenstadt. Der Wasserstand in den Känalen war zu niedrig, um effektiv löschen zu können, und alle Versuche, das Feuer mit Wasser- und Schaumbomben aus einem Hubschrauber zu ersticken, schlugen fehl. Und vergeblich kamen auch die Löschzüge aus den Nachbarstädten Padua und Vincenza.
Noch in der Nacht stürzte das Dach krachend ein, am Morgen standen nur noch einige Außenmauern. Ein Kurzschluß sei vermutlich die Ursache gewesen, sagen Brandexperten der Polizei. Der Schaden wird auf etwa 500 Millionen Mark geschätzt. Verbrannt sind vermutlich auch wichtige Archivdokumente, Partituren und ein Porträt von Maria Callas. Das Künstlerensemble der Oper befindet sich zur Zeit auf einer Tournee in Warschau. Das Opernhaus ist seit vergangenem Herbst wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Am 1. März sollte es mit einer Don-Giovanni-Gala und einem Jazzkonzert mit Woody Allen wiedereröffnet werden.
„Venedig hat seine Seele verloren“, klagte noch in der Brandnacht der Startenor Luciano Pavarotti in einem Fernsehinterview. Und rund um die weitläufig abgesperrte Brandstelle südlich des Markusplatzes standen Aberhunderte von Venezianern, viele weinend. La Fenice, das prächtige, 1792 erbaute Haus mit seinen fünf Logenreihen bis unter das Dach, dem blauen Samt und der goldenen Seide, den gewaltigen Kristallleuchtern, den ausladenden Stuckornamenten, den Büsten berühmter Maestros und Komponisten und den Marmorfreitreppen, war immer mehr als nur eine besonders schöne Oper. Es war nicht nur ein Haus, das mit den Werken von Rossini, Donizetti, Bellini und vor allem Verdi verbunden ist. Nicht nur der Schauplatz von Franz Werfels Roman über die komplizierte Beziehung von Wagner und Verdi, nicht nur die Oper, in der Maria Callas 1947 ihre Karriere als Heroine des Belcanto begann. Nicht nur eine Stätte, in der 1930 das erste internationale Festival der zeitgenössischen Musik stattfand. Die Oper La Fenice war immer auch eine Begegnungsfläche italienischer Patrioten.
1866, zu der Zeit, als noch Österreich Venetien besetzt hielt, Verdis „Troubadour“ aufgeführt wurde, sprangen im dritten Akt die Zuschauer von ihren Plätzen und stimmten Verdis Kampfhymne „Suona la tromba“ für die Befreiung Italiens an. Seitdem gilt die Oper auch als ein Symbol für die Einheit des Landes. Ihr Name „La Fenice“, zu deutsch „Phoenix“, der Vogel, der aus der Asche stieg, wurde jetzt zum Synoym für den Einigungswillen Italiens.
Ursprünglich bedeute der Name „Phoenix“ nichts anderes, als daß die Venezianer allen Schicksalsschlägen trotzen und ihre Oper immer wieder aufbauen. Denn das erste große Opernhaus Venedigs brannte 1774 ab, der Nachfolgebau mußte wenige Jahre später geschlossen werden, weil der Pachtvertrag nicht verlängert wurde. La Fenice, das jetzt zum dritten Mal zerstörte Gebäude, könnte vielleicht wieder zu einem Phoenix, der aus der Asche steigt, werden. Der für Kulturgüter zuständige Minister Antonio Paolucci kündigte gestern umgerechnet 20 Millionen Mark Soforthilfe für die Rekonstruktion an. In New York gab das US-amerikanische Komitee zur Rettung von Venedig bekannt, es werde die Einkommen aus dem diesjährigen Maskenball für den Wiederaufbau der Oper zur Verfügung stellen. Einige hundertausend Dollar könnten zusammenkommen. Das Komitee wurde vor dreißig Jahren gegründet, als Venedig überschwemmt wurde.
Heute vor genau zwei Jahren brannte schon einmal ein berühmtes Opernhaus ab, das 1847 erbaute Grand Teatro de Liceo in Barcelona, und vor vier Jahren ein neueröffnetes Opernhaus im süditalienischen Bari. Vor sechs Jahren, und damals war es Brandstiftung, wurde die Frankfurter Oper in Schutt und Asche gelegt.
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