„Wir sind alle Farbwerkler“

Nach der Störfallserie ist die Skepsis der Anwohner gegenüber Hoechst riesengroß. Hoechst argumentiert, anderswo wäre die Poduktion gefährlicher  ■ Aus Frankfurt Anna Riek

Schwanheim, zwei Tage nach dem Störfall. Bürger versammeln sich auf der Straße und debattieren über den Zustand der Betriebsanlagen und die schlechte Informationspolitik der Hoechst AG und der Feuerwehr. Ein Rentner schimpft: „Ich habe von Insidern gehört, daß die Anlagen in Griesheim in schlechter Verfassung sind, teilweise wie in Bitterfeld. Wenn Sie die alten Dinger sehen würden! Und die machen nix mehr, weil sie in fünf Jahren angeblich aufhören wollen.“

Wütend fragen Passanten, wer ihnen nach den Störfällen die Wertminderung ihrer Grundstücke ersetzt. Einige fordern die Stillegung der Giftproduktion. Andere dagegen betrachten die Vorfälle mit Gelassenheit. „Wir sind alle Farbwerkler. Wir arbeiten alle bei Hoechst. Das ist der Arbeitgeber. Und wenn was passiert, dann passiert was.“ Die Sicherheitsvorkehrungen seien hinreichend – und seien es auch schon immer gewesen. „Heute wird das nur so aufgebauscht.“

Eine ältere Frau aus der Bäckerei kann der Nachbarschaft zu den Hoechst-Werken sogar etwas Positives abgewinnen: „Schauen Sie sich doch die Todesanzeigen an. Die Leute in Schwanheim werden alle hundert Jahre alt. Die sind doch resistent.“

Daran mögen die Mitglieder örtlicher Bürgerinitiativen nicht glauben. „Machen Sie den maroden Laden dicht!“ forderten sie am Montag abend beim „Gesprächskreis Hoechster Nachbarn“. Seit dem großen Störfall von 1993 treffen sich die BIs mehrmals im Jahr mit Managern des Konzerns, um über Verbesserungen von Sicherheitsvorkehrungen und über die Intensivierung der Informationspolitik zu verhandeln. Wieder seien weder Berufsfeuerwehr noch Bürger rechtzeitig benachrichtigt worden, kritisiert Thomas Schlimme von den „Hoechster Schnüfflern un' Maaguckern“. Die widersprüchlichen Informationen der Hoechst AG spiegelten das Chaos wider, das üblicherweise nach einem Störfall im Werk herrsche. Trotz aller Zusagen der letzten Jahre habe das Sicherheitsmanagement des Konzerns erneut versagt, konstatiert Schlimme. „Die hundertste Entschuldigung, die nachher kommt, kann ich mir ins Klo hängen“, erregt sich die Vertreterin einer Mütterinitiative. Auch die von Hoechst-Chef Jürgen Dormann verkündete Ernennung eines Sicherheitsbeauftragten beschwichtigte das Mißtrauen der BürgerInnen nicht. Durch einen einzelnen Verantwortlichen, so war zu hören, sei keine Sicherheit rund um die Uhr zu gewährleisten.

Gerüchte machen statt dessen die Runde. Eine Bürgerin berichtet, sie habe gelesen, daß Leistungszulagen gesenkt würden, wenn Störfälle bekannt würden. Der Umweltdezernent der Stadt Frankfurt, Tom Koenigs, kritisiert die schlechte Informationspolitik von Hoechst. Er möchte erreichen, daß „von jeder Stelle“ im Werk aus Alarm ausgelöst und die Berufsfeuerwehr informiert werden kann. Das müsse „auch nach innen bis zum letzten Mann“ durchdringen.

Die Vertreter der Hoechst AG hatten einen schweren Stand. Sie wandten sich natürlich gegen die geforderte Schließung der Giftproduktion. Schließlich würde die Firma ein „reines“ Produkt herstellen. Würde bei Hoechst die Produktion etwa von Pflanzenschutzmitteln eingestellt, würden nur andere Firmen ermutigt, in Indien unter schlechteren Bedingungen ein „nicht so reines Produkt“ herzustellen.

Vor den ungläubigen Bürgerinnen und Bürgern streiten sich Konzernvertreter, Feuerwehr, der Umweltdezernent und die Bürgerinitiativen heftig, wer wann wen zu informieren habe. Es komme, argumentieren die Feuerwehr und Umweltdezernent Koenigs unisono, mindestens einmal im Monat zu Betriebsunfällen, bei denen Produkte aus dem Betriebsgelände austreten. Viele dieser Fälle seien in einer Grauzone angesiedelt. Die Experten der Hoechst AG müßten entscheiden, ob eine Kontaminierung vorliege oder nicht und ob die Bevölkerung zu informieren sei – oder eher nicht, forderten die Feuerwehrleute.

„Wir können natürlich auch bei jedem umgefallenen Eimer die Sirenen betätigen, wenn dies gewünscht wird“, maulte der Chef der Frankfurter Berufsfeuerwehr. „Ich möchte sofort informiert werden, wenn ein Produkt aus dem Betriebsgelände ausgetreten ist“, erklärt daraufhin eine Vertreterin der Mütterinitiative. Daß ein umgefallener Eimer das Betriebsgelände verlasse, habe sie noch nicht gehört.

Statt den willkürlichen Entscheidungen der Verantwortlichen bei Hoechst oder der Feuerwehr ausgeliefert zu sein, möchte sie lieber selbst entscheiden, ob sie im Haus bleibe oder nicht. Wenn schon die vor einigen Monaten extra zu diesem Zweck installierten Sirenen nicht genutzt werden, sollten wenigstens Autos mit Megaphonen früh durch die betroffenen Gebiete fahren.