Prager Chefdirigent läßt den Taktstock fallen

■ Leiter der Tschechischen Philharmonie tritt wegen „politischer Beschränktheit“ der Regierung zurück. Diese sieht jedoch lediglich Probleme künstlerischer Natur

Prag (taz) – Der deutsche Chefdirigent der tschechischen Philharmonie in Prag, Gerd Albrecht, ist zurückgetreten. Nicht künstlerische Gründe seien für diesen Schritt ausschlaggebend gewesen, sondern „politische Beschränktheit“, begründete Albrecht gestern seinen Schritt in einem Brief an Kulturminister Pavel Tigrid. Premier Václav Klaus habe die Situation in der Philharmonie als „unwürdig“ bezeichnet und eine schnelle, klare Lösung gefordert. Diese biete er nun mit seinem Rücktritt an.

Monatelang hatten sich die Auseinandersetzungen um Albrecht hingezogen. Eine vor zwei Wochen in Kraft getretene Statutenänderung, die die Vollmachten des Dirigenten zugunsten des Generaldirektors beschränkt, sowie ein Interview von Präsident Václav Havel im Berliner Tagesspiegel brachten das Faß für Albrecht zum Überlaufen. Die Äußerung Havels, es tue ihm leid, daß „Probleme, die ausschließlich künstlerischer Art sind“, politisiert worden seien, bezeichnete Albrecht in einem Brief an den Präsidenten als beleidigend. Mit diesem scharf formulierten Schreiben schoß Albrecht jedoch übers Ziel hinaus und verlor auch seine letzten Anhänger in Prag.

Die öffentliche, leidenschaftliche Diskussion über die menschlichen und künstlerischen Eigenschaften des Maestro aus Deutschland hatten nicht nur die Prager Philharmoniker gespalten, sondern auch die Bevölkerung. Unter anderem war Albrecht vorgeworfen worden, er sei nur ein zweitrangiger Dirigent, der ein Spitzenensemble wie die Tschechische Philharmonie nicht leiten könne. Inwiefern nun die Nationalität des Dirigenten in diesem Streit eine Rolle gespielt hat, läßt sich nicht mehr feststellen. Präsident Havel beteuerte jedenfalls, daß diese keine Rolle spiele. Albrecht allerdings wittert hinter den Attacken gegen seine Person Chauvinismus und Nationalismus.

Auch nach dem Rücktritt Albrechts wird sich die Aufregung um das tschechische Orchester nicht legen. Der Generaldirektor der Philharmonie hat laut tschechischen Zeitungsberichten von gestern bereits angekündigt, daß er Albrecht wegen Hinterziehung von Gagen anzeigen will. Bleibt das neue Statut in Kraft, wird es auch schwierig sein, einen namhaften Nachfolger zu finden. Deshalb werden bereits jetzt Unterschriften für eine Petition zur Änderung der Statuten gesammelt.

Blanker Hohn sei es, sagte Albrecht gestern, daß sein Fall eher zu einer Verschlechterung der deutsch-tschechischen Beziehungen geführt habe. Schließlich sei er vor zwei Jahren auch deshalb an die Moldau gekommen, weil er zur Verbesserung derselben beitragen wollte. Katrin Bock

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