Die Jungen wollen die Alten Mores lehren

■ Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung über die Quäkerhilfe im Nachkriegsdeutschland. Vom religiösen Hintergrund ist indessen kaum die Rede

„Ketzer“, „freche Schwarmgeister“ und „Schein-Heilige“ nannten Zeitgenossen sie Anfang des 18. Jahrhunderts. „Unhöffigkeit“ warf man den seltsamen Herren vor, die ihre schwarzen Hüte nicht vor den Stadtoberen zogen und jeden mit „du“ anredeten. Heute würde man die schrulligen Wohltäter, die Popen, Kriegsdienst und kirchliche Sakramente ablehnen und sich als „Nachfolger Jesu“ versuchen, wohl eine christliche Sekte nennen. Doch genau das wollen sie nicht sein. Aber auch keine reine Wohlfahrtsorganisation. Die Verwirrung komplett macht jetzt eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, mit der die Quäker ihren 350. Geburtstag feiern.

Um ganz von vorne anzufangen: Seit 1645 sammelte der englische Webersohn George Fox eine religiöse Protestbewegung um sich, die von der anglikanischen Kirche und „ihren nichtigen Überlieferungen“ nichts mehr wissen wollte. Die „Kinder des Lichts“ machten durch radikale Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und durch ekstatische Rituale von sich reden.

William Penn, der Gründer Pennsylvanias, brachte die missionierenden Weltverbesserer 1681 nach Amerika, wo sie für Aussöhnung mit den Indianern und gegen die Sklaverei kämpften. Bald erntete die eifernde Erweckungsbewegung, die das „göttliche Licht Christi in jedermann“ sah, den Spottnamen „quaker“, also Zitterer. So nennt sich die „Religiöse Gesellschaft der Freunde“ noch immer. Göttliche Eingebungen empfangen ihre 200.000 Mitglieder inzwischen bei wenig spektakulären Schweigeandachten, von Kirchendogmen halten sie wenig.

„Bloß kein Geseiche von irgendeinem Pastor.“ Lore Horn redet von ihrer Beerdigung, die ohne tränenreiche Trauerzeremonie ablaufen soll. Doch bis dahin werden wohl noch einige Jahre vergehen, einen kränklichen Eindruck macht die 69jährige nicht gerade. Die studierte Sozialpädagogin steht der 28köpfigen Berliner Quäkergemeinde in der Planckstraße als „Schreiberin“ vor. Sie selbst nennt sich „Schreiber“, weil sie vom Feminismus nichts hält, obwohl sie bei den Quäkern „viele Powerfrauen“ kennengelernt hat. „Absolut unquäkerisch“ findet sie es auch, in der Zeitung zitiert zu werden.

Eitle Selbstdarstellungen sind den Quäkern offenbar so fremd wie Gefühlsausbrüche oder Gelüste. Noch puritanischer als die alte Garde gebärdet sich neuerdings der Nachwuchs, der oft aus der DDR stammt. Kürzlich erschienen bei einer Versammlung ein paar „Jungfreunde“ in traditioneller Quäkerkluft und schwarzem Hut. Ernst verlasen sie einen rigorosen Verhaltenskodex, um die undisziplinierten Alten Mores zu lehren. Fazit: lockere Sitten unerwünscht.

Auf die sonderlichen Gebräuche der Jesusjünger geht die Ausstellung im Zeughaus nicht näher ein. Dokumentiert wird das, wofür die Quäker in Deutschland berühmt wurden: für die Ausgabe heißer Suppen, mit denen sie nach dem Ersten Weltkrieg unterernährte Kinder aufpäppelten. Die Internationale Quäkerhilfe – finanziert von den Muttergemeinden in England und den USA – unterschied nicht zwischen Freund und Feind, Gegner und Verbündetem, Peiniger und Opfer.

Quäker schleusten im Zweiten Weltkrieg Nazi-Verfolgte ins Ausland, versteckten jüdische Kinder und landeten oft selbst dafür im KZ: Möglich wurde ihr mutiger Einsatz freilich nur durch geschicktes Kollaborieren mit der Diktatur. So versicherte 1938 ein Quäker österreichischen Nazis, daß „wir nicht gekommen sind, um zu richten und zu kritisieren“, und betonte, auch „Lebensmittel an eine große Anzahl nationalsozialistischer Familien“ verteilt zu haben. Verständnislosigkeit ernteten die „Freunde“ 1945, als sie Carepakete nach Deutschland schickten und sich gleichzeitig für die Begnadigung von SS-Führern stark machten.

Heilige sind die Quäker, die 1947 den Friedensnobelpreis erhielten und sich heute für die Armen in der Dritten Welt einsetzen, sicher nicht. Ihre Geschichte ist voller Widersprüche, was die Ausstellung nicht ganz verschweigt. Doch leider fehlt jede Information über den religiösen und sozialen Hintergrund der „stillen Helfer“. Ärgerlich sind auch die chaotischen Stellwände, die die Besucher durch ein verwirrendes Labyrinth historischer Chronologien und unübersichtlicher Fotoserien lotsen. Schade um die originellen Dokumente. Constanze v. Bullion

Stille Helfer – Die Quäkerhilfe im Nachkriegsdeutschland, bis 12. 3., Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, Mitte