: Bescheiden Feldfrüchte feilbietende Indios
Keine Woche vergeht ohne Dia-Shows über Reisen ins faszinierende Neuseeland oder ins bezaubernde Neapel. Da sieht man dann drollige Affen Müsliriegel klauen, und in der Pause gehen Pudelmützen und CDs gut weg ■ Von Jörg Häntzschel
Braungebrannt, Holzketten um den Hals, verschwitzte Tücher um die Stirn: so stellen sich Kai-Uwe Küchler und Mike Meto Mettke, die „Abenteurer und Reiseerzähler“, auf ihren Plakaten dar. Vorne liegt ein Skelett im Sand, hinten schmaucht ein schneebedeckter Vulkan. Das ist Ecuador. Sich selbst haben sie dort gesucht, bekennen sie später treuherzig, „Abenteuer in Dschungel und Eis“ haben sie erlebt, und von denen wollen sie berichten. Eine „Live- Dia-Show“ wartet auf Südamerika-Freunde, mit „Originalgeräuschen, einfühlsamer Musik und computergesteuerter Projektion“.
Großes Hallo im Saal, als eine vielköpfige Fußgängerzonen- Band mit wehenden Ponchos einzieht. Indios, Panflöten, Trommeln, das ist mehr, als sich die 800 Zuschauer im Audimax der Humboldt-Uni versprochen hatten. Kaum sind die Musikanten von der Bühne, verwöhnen Küchler und Mettke mit spektakulären Landschaften im Rhythmus gefälligen Ethnopops. „Lassen Sie sich entführen...“ Die beiden sind professionelle Entertainer.
Am Amazonas beginnt die Reise: „Was für ein Gefühl, selbst Bestandteil der Strömung zu sein.“ Den Reiseerzählern, die versprachen, keine „platte Dokumentation“ zu liefern, nein, „Stories“, ein „Gesamtkunstwerk“, gelingt die Stilisierung ihrer schon von tausend anderen absolvierten Rundreise als riskante Expedition und Selbsterfahrungstrip. Spannungsmomente – gefährliche Eislawinen, Gletscherspalten und Indios mit Machete – wechseln ab mit flockig hererzähltem Reiseführerwissen und lyrischen Elementen: „Nie geschmeckte Aromen betäuben unserer Zungen.“ Dann und wann etwas comic relief zur Entspannung, wenn Mike wieder Durchfall hat oder ein drolliger Affe die Müsliriegel klaut. Dazwischen zitieren die Naturburschen Humboldt, Melville und Márquez.
Küchlers Firma „Arts & Adventures“ ist eine der großen im Dia-Geschäft. Ein Familienbetrieb, der eng mit Reisebüros, Trekking-Läden und Firmen wie Opel und Kodak zusammenarbeitet. Und obwohl sie von der „Dia- Show als Kunstform“ sprechen, sind sie vor allem ausgezogen, die abgenudelten Brillantmotive zu ernten, die wir vom Werbekalender der Apotheke um die Ecke kennen. Ektachrome erzählen von den „bizarren Landschaften“, vom „pulsierenden Treiben der Märkte“, auch von Indios, die „voller Bescheidenheit ihre Feldfrüchte feilbieten“, vor allem aber von putzigen oder lebensgefährlichen Tieren.
Denn die sind fotogener als Menschen. Kaum Begegnungen mit den Einheimischen, kein Wort zur Realität des Landes. Ecuador ist ein stummer Erlebnispark voll touristischer Höhepunkte. In der Pause gehen Panflöten, Pudelmützen und CDs gut weg. Zweimal muß die Show allein in Berlin wiederholt werden. Anschließend tourt sie durch fünfzehn weitere Städte.
Keine Woche vergeht ohne Dia- Shows über Reisen ins faszinierende Neuseeland, ins bezaubernde Nepal oder an irgendeinen anderen Sehnsuchtsort deutscher Städter. Die Konkurrenz ist hart. In zwei Gruppen teilt sich das Publikum: angehende Traveller, die hier vergeblich auf brauchbare Tips und Insiderinformationen warten. Und solche, ältere Ehepaare zumeist, die sich von den Reiseberichten einen Bildungseffekt versprechen. Fremde Länder wollen sie kennenlernen, Interessantes und Lehrreiches über andere Kulturen erfahren. Den authentischen Globetrottern auf der Bühne, zumal im Audimax einer Universität, zollen sie größtes Vertrauen. Doch mit Volksbildung und Populärwissenschaft haben die Dia-Shows nichts zu tun.
Vier Tage später wird am selben Ort ein „unglaubliches Erlebnis“ angekündigt: Die 3D-Dia-Show „Mythos des Nordens“. Der riesige Wal auf dem Plakat verspricht sensationelle Unterwasseraufnahmen. Und spannend das mit der 3D-Technik. Kaum hat man sich aber die Pappbrille ins Gesicht geschoben, wird klar, daß man sich hier lediglich der dreisten Zweitverwertung einer Werbereise aussetzt. „Von der Natur lernen und im Team für ihren Schutz arbeiten – das ist die Idee von Prince Denmark Nature Support.“
Eine politisch korrekte Camel- Trophy im Greenpeace-Kielwasser also, bei der sich global denkende junge Menschen zu einer prima Sache zusammenfinden. Zwei Wochen halten „Ulf, Claudia, Stupsi und die anderen“ in Norwegen nach Walen Ausschau, machen „Gletschermonitoring“ und flicken an irgendwelchen Umweltprojekten herum. Für Schulaufsatzprosa vom Band und mäßig aufregende Bilder legt man 16 Mark hin. „War die Brille zum Schutz der Augen?“ fragt mich eine ältere Dame, selbst Norwegen-Fahrerin, nach der Vorführung. Sie ist enttäuscht, weil sie sich für Wale „nicht so interessiert“.
Nach dieser Pleite darf ich mir den Film mit dem wunderbar schrulligen Titel „Zwei Berliner auf Achse“ in der Urania nicht entgehen lassen. Vielleicht erzählt hier endlich einmal jemand von seiner Reise, ohne nur die Finanzierung der nächsten im Sinn zu haben. Tatsächlich: „An einem sonnigen Septembertag verlassen wir Berlin und fahren in eine ungewisse Zukunft“, heißt es im schönsten Entdecker-Ton, nachdem wir Rainer und Isa Lehmann beim Beladen des Wohnmobils im Hinterhof beobachtet haben. Wir sehen sie wieder auf der Fähre in Gibraltar. Drei Jahre in Afrika und Südamerika folgen.
Die beiden sind keine Berufstouristen, sondern haben „einen zwanzig Jahre alten Traum wahr gemacht“ und brennen darauf, von seiner Verwirklichung zu erzählen. Wacklig sind ihre Aufnahmen manchmal, und auch sie haben vom Reiseführer abgeschrieben, doch das stört kaum. Nach der Vorführung bedanken sich die beiden gerührt bei den Zuschauern, die sich ausführlich nach Ersatzteilen, Medikamenten und dem besten Fahrzeugtyp erkundigen: „War das ein LT 28?“ Als keine Fragen mehr kommen, muß Rainer Lehmann noch ein halbe Stunde weitererzählen, so erfüllt ist er. Auf die Idee mit der Weltreise habe ihn übrigens eine Dia- Show in diesem Saal gebracht. Titel: „Die längste Hochzeitsreise der Welt“.
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