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■ Beatleske Benutzeroberflächen: „Viertuell“, die CD-ROM der Fantastischen Vier

Seit es CD-ROMs gibt, gibt es einen neuen Berufsstand: Die sogenannten „digitalen Autoren“, die diese ROMs programmieren. Diese neu entstandene Kaste teilt eine kollektive Wahnvorstellung, und die heißt: CD-ROMs müssen leicht bedienbar sein. Für Enzyklopädien und andere Nachschlagewerke mag das stimmen. Aber die Erfahrung zeigt, daß viele Videospiele nicht deshalb so beliebt sind, weil sie so leicht zu bedienen sind, ganz im Gegenteil: Sie sind beliebt, weil sie absolut undurchsichtig sind, den User stundenlang an irgendwelchen geheimnisvollen Aufgabenstellungen rumbasteln lassen.

Die Fantastischen Vier und die Programmierer der Berliner Multimedia-Firma Pixelpark haben sich diese Erkenntnis zu Herzen genommen. „Viertuell“, die erste CD-ROM der Band, ist absolut nebulös. Man merkt, daß der Rapper Smudo, der an der Konzeption von „Viertuell“ mitgearbeitet hat, selbst ein langjähriger Videogame-Anhänger ist. Die CD-ROM hat zwar auch ein großes Bandarchiv, wie sich das für das erste Multimedia-Produkt einer Popgruppe gehört. Aber vor allem ist „Viertuell“ ein Spiel, und das ist ziemlich unergründlich. Die Benutzeroberflächen bieten keinerlei Erklärungen.

Am Anfang verbringt man viel Zeit damit, den Bildschirm anzustarren und darauf zu warten, daß irgend etwas passiert oder ein Zeichen gegeben wird, was man denn tun soll. „Viertuell“ liegt zwar sogar ein kleines Heftchen mit Spieltips bei. Aber so was ist natürlich nur was für Loser. Es gibt nix Schöneres, als wenn man nach endlosem Herumklicken selbst auf den Trichter kommt, daß man die kleinen LP-Icons, die über den Bildschirm fliegen, mit dem Plattenspieler-Icon einfangen muß, um auf die nächste Spielebene zu gelangen.

Auch wenn man die Fantastischen Vier nicht mag, muß man neidlos zugeben, daß das hier eine der besten CD-ROM-Produktionen ist, die in der letzten Zeit aus Deutschland gekommen ist. Sie benutzen die spezifischen Eigenschaften des Mediums sehr geschickt, um an ihrem Band- Image zu feilen. Im Archiv-Teil der ROM präsentieren die „Fantas“ sich und ihr Umfeld als eine Art postmoderne Großfamilie. Die Band stellt nicht nur sich selbst in ausufernden Lebensläufen vor, sondern gleich auch noch ihr Management, Roadies, Musiker und Leibwächter. Sie ersparen sich und uns nichts: Ein Amateurvideo zeigt die Jugendhaus-Premiere, wo die neugegründete Band LL-Cool-J-Titel parodierte.

In der Boom-Car-Sektion betreten wir das Innere des alten Opel Admiral, des Band-Autos, in den ein weiterer Motor eingebaut wurde, um die riesigen Baßboxen mit Strom zu versorgen. Hier kann man aus Samples von Fanta-Vier-Nummern neue Stücke mixen, die ROM bietet also eine Art Ersatzbefriedigung – so was Ähnliches wie die Luftgitarre, die jugendliche Rockfans gerne vor dem Spiegel spielen.

In gewisser Weise erinnert „Viertuell“ an die alten Beatles- Filme „A Hard Days Night“ oder „Help!“. Der Lebensstil, den die Beatles in diesen Filmen pflegten, das lustige, ungezwungene Rumhängen im gemeinsamen Haus oder in Hotels, hatte zwar nicht viel mit dem tatsächlichen Leben der Band zu tun. Aber es lieferte eine glaubwürdige Projektionsfläche für Teenagerträume.

Besonders interessant ist auf „Viertuell“ die „Fetisch“-Ecke, in der man kleine Gegenstände anklicken kann, die die Bandmitglieder besonders lieben. Dazu gehört zum Beispiel ein altes Eriksson-Handy, Smudos Bartschneider, ein Flaschenöffner, der wie ein Haifisch geformt ist, und ein „kleines Pillendöschen für Pillen, die in kleine Döschen gehören“. Solche Details braucht der Fan, um sich den Lebensstil einer Band vorzustellen und idealisieren zu können. (Daß zu den Fetischen auch eine Hi8-Kamera von Sony gehört und die Plattenfirma von F4 ebenfalls Sony ist, muß allerdings purer Zufall sein...) Tilman Baumgärtel

„Viertuell“, CD-ROM für Windows 3.1. oder höher, Sony Music, 59,90 DM. Die Fantastischen Vier im World Wide Web: http:// www . sonymusic. de/f4